Montag, 9. März 2009

Wochen 11 bis 13

Die Vorweihnachtszeit beginnt - Urlaubsplanungen

Es geht wieder los. Die erste Weihnachtsdekoration schmückt die Straßen. Ich hatte ja schon gedacht, dass man hier im Süden fast ganz darauf verzichtet, da das Wetter eh nie wirklich weihnachtlich ist, aber ich habe mich zum Glück getäuscht. Das ist doch gerade das Schöne an Weihnachten. Dass die ganze Stadt festlich geschmückt ist und wenn es dunkel ist, tausende Lichter die Straßen erhellen. Wäre doch schade, darauf ein Jahr verzichten zu müssen. Muss ich ja aber nicht. Darauf, dass ich wahrscheinlich keine Schneeflocke zu Gesicht bekommen werde, habe ich mich aber bereits eingestellt. In der Colline geht jetzt die Koordination der Weihnachtszeit los. Alle sind eifrig am planen, damit sie ihren Urlaub so früh wie möglich anmelden können, um Zeit für die Familie zu haben. Die kommt bei vielen meiner Kollegen nicht aus der Gegend. Cathy zum Beispiel kommt aus der Basse Normandie. Ihr Bruder und ihr Vater wohnen dort. Ihre Mutter lebt mit ihrem neuen Lebensgefährten allerdings etwas weiter weg. Auf Mauritius. Vorher Madagaskar. Eine weit Entflohene also. Durch die Entfernung kann Cathy ihre Mutter nicht sehr oft sehen. Das letzte Mal vor zwei Jahren. Es ist eben sehr teuer, dorthin zu fliegen und nicht jeder ist scharf darauf, 14 Stunden lang in einem Touristen-Jumbo der Corsair eingepfercht zu sein. So lange dauert ungefähr der Flug von Nizza über Paris nach Mauritius.

Ich hatte meinen Urlaub ja bereits früh geplant und angemeldet. Zum Glück. So ein bisschen bekommt man das Gefühl, dass hier das Motto „Wer zu spät bekommt, den bestraft das Leben“ herrscht. Wer seinen Urlaub zu spät anmeldet, bekommt keinen. Denn logischer Weise muss die medizinische Verpflegung und Betreuung der Bewohner von Irgendjemandem aufrechterhalten werden. Auch über Weihnachten und Neujahr. Sind dann eben die, die keine Kinder, beziehungsweise Familie haben. Oder halt die Pechvögel, die sich zu lange Zeit gelassen haben. Ich fliege am 16. Dezember nach Paris und dann nach Berlin. Alles andere ist mir jetzt egal. Die könnten mir hier nen Stundenlohn von 30 € anbieten, damit ich bleibe. Ich würde es ablehnen. Weihnachten in Berlin ist unbezahlbar. Ich freue mich jeden Tag mehr auf den 22. Dezember, wenn ich in Orly morgens um 6 in die Frühmaschine nach Schönefeld steigen werde. Inzwischen habe ich auch schon ein Abholkommitee organisiert. Na ja, teilweise zumindest. Ich kann schließlich nicht verlangen, um 8 in der Früh in den Osten zu fahren. Da muss man mindestens ne Stunde vorher aus dem Haus. Martin und Marcel werden da sein, haben sie gesagt. Tina und Sanny auch. Mal sehen, wer es dann tatsächlich schafft, sich so früh aus dem Bett zu quälen. Zumal ja Ferien sind zu der Zeit. Nur alleine dastehen will ich nicht. Dazu war ich zu lange weg und irgendjemand wird schon treu genug sein, den alten Simon in Empfang zu nehmen. Ich würde es schließlich auch machen, wenn einer meiner besten Freunde drei Monate weg gewesen wäre. Auf mich kann man sich da verlassen. Mir sind meine Freunde nämlich mehr wert, als alles andere. Denn was wäre man ohne sie? Einsam und verbittert.

Während die anderen also ihren Weihnachtsurlaub beantragten, klärte ich mit Madame Vangioni, der sogenannten surveillante generale, bereits meinen nächsten Urlaub ab. Im März will ich zu meinem Geburtstag nach Hause fliegen. Denn alleine zu feiern, kann ich mir noch weniger vorstellen, als Weihnachten in Nizza zu bleiben. Ich klärte das so früh ab, um noch günstige Flüge zu kriegen. Die werde ich in den nächsten Wochen buchen. Abgesegnet hat Madame Vangioni mir meinen Urlaub nämlich ohne zu murren. Wenn das so weiter geht, wird 2009 ein noch reisefreudigeres Jahr als 2008. Neben den privaten Reisen muss ich im Mai ja noch zu einem Seminar nach Paris und Ende August zum Abschlussseminar. Wo das stattfinden wird, weiß ich noch gar nicht. Wahrscheinlich auch in Paris. Mal sehen, was dazwischen noch so alles an Reisen zusammenkommt. Irgendwie muss ich es ja nutzen, in 14 Ländern ASF-Kollegen zu haben, bei denen man teilweise kostenlos übernachten kann. Ich würde ja am liebsten nach New York. Aber das ist leider am unwahrscheinlichsten. Eher werde ich mich etwas in Frankreich rumtreiben, Jane und Christian in der Normandie besuchen, oder zu Julian nach Marseille fahren. Liegt ja am nächsten und nach Marseille wollte ich eh schon immer mal.


Was geht bei den alten Leuten ab

Bevor ich aber meine ganze Reise –und Entdeckungslust austoben kann, geht die Arbeit natürlich weiter, wie gehabt. Zu vielen Bewohnern habe ich inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut. Das sieht dann immer so aus, als würde sich der junge Hüpfer überall ein bisschen Lebenserfahrung abschneiden und sich dann daraus den großen Klumpen formen, den er nach Beendigung des Jahres den Freunden als Trophäe eines einzigartigen Jahres präsentieren kann. Aber die Bewohner teilen gerne und erzählen viel, wenn man sich die Zeit nimmt, ihnen zuzuhören. Aber auch, wenn sie nichts zu erzählen haben, gibt es ab und zu etwas zum Staunen. Im Centre zum Beispiel lebt eines von zwei Ehepaaren der Colline. Monsieur und Madame H sind zwar beide schon ziemlich senil und vergessen ohne Probleme die Namen ihrer Kinder. Aber wehe, die beiden sind zu lange getrennt. Dann wird gedrängelt, geschmollt und geschimpft. Und ist der andere dann da, sieht man keine alten Leute, die hier wahrscheinlich ihre letzte Stätte gefunden haben, sondern zwei frisch verliebte Teenager. Madame H kann kaum noch eigenständig laufen und sitzt daher im Rollstuhl. Dann weicht er bei den Animationen nie von ihrer Seite. Er hält auch immer ihre Hand und ab und zu flüstert er ihr zu, dass er sie über alles liebt. Sie versteht oft Zusammenhänge nicht mehr, aber wenn ihr Mann das sagt, strahlt sie über das ganze Gesicht und muss gar nicht antworten, weil ihre Augen genug sagen. Ich grinse dann immer und muss mir Mühe geben, nicht zu vergessen, dass die beiden bestimmt schon fast 60 Jahre verheiratet sind. Wie lange genau können die beiden ironischer Weise nicht mehr sagen. Ich frage mich dann immer, ob sie das ist, die perfekte Liebe.

Im Alzheimer-Teil haben wir bereits seit einigen Wochen einen neuen Bewohner. Monsieur H. Ein an sich sehr freundlicher Herr, der bereits 90 Jahre auf dem Buckel hat. Aber nach einer Woche wurde er zunehmend komplizierter. Durch seine Krankheit ist es fast unmöglich, ihm seine Situation begreiflich zu machen. Warum er hier ist, wo er sich hier befindet und wo seine Frau ist, kann man ihm zwar erklären, aber er wird es augenblicklich wieder vergessen haben und weiterhin sauer reagieren, wenn wir ihm jeden Abend aufs Neue erklären müssen, dass er nicht zu sich nach Hause kann, da er jetzt hier wohnt. Er sucht dann weiter alle Zimmer der anderen Bewohner nach seiner Frau ab. Wir hoffen nur, dass er sich irgendwann so benehmen wird, wie die anderen. Die sind zwar genau so krank, haben sich aber inzwischen so an ihre Situation gewöhnt, dass sie sie akzeptieren und genau wissen, warum sie hier sind. Dazu braucht es aber etwas Geduld, denn nicht bei jedem Bewohner geht das auf Anhieb, wenn er neu bei uns ist. Und es braucht Ruhe und Verständnis von unserer Seite. So können wir die Bewohner am besten unterstützen. Marie ist aber leider alles andere als geduldig und verständnisvoll. Die Krankenpflegerin ist generell eher dynamisch und aufbrausend. Im Grunde genommen auch bevormundend.

Und diese Kombination lies die Situation mit Monsieur H. eines Abends eskalieren. Ich wollte gerade Feierabend machen und meine Sachen aus dem Schwesternzimmer holen, als Monsieur H. wieder einmal fragte, wo der Ausgang sei. Er wolle nach Hause. Marie, sowieso genervt von Allem und Jedem, machte ihm mehr oder weniger hart klar, dass er hier bleiben müsse. Das rief bei ihm natürlich Unverständnis hervor und die beiden steigerten sich so in die Angelegenheit hinein, bis er sich am Türrahmen des Schwesternzimmers festklammerte, und uns nicht hinaus lassen wollte. Marie probierte dann, in einer unachtsamen Sekunde unter seinen Armen durchzuhuschen, aber er packte ihre Hand und lies sie nicht mehr los. So, wie ein angeschlagenes Tier, wehrte er sich nun mit seiner ganzen Kraft gegen seine Inhaftierung, wie er es nannte. Und trotz seiner 90 Jahre hat er noch gewaltig Kraft in den Armen. Er drückte Maries Hand so fest zusammen, bis sie vor Schmerz schrie. Ich stand mehr oder weniger hilflos dabei. Keine Ahnung, was ich in so einer Situation machen sollte. Cathy, auf der anderen Seite der Tür, probierte zwar, ihm zu erklären, dass er auf Grund seiner Krankheit nicht mehr bei sich zu Hause wohnen könne, aber genau das ist eines der vielen Probleme, die die Krankheit Alzheimer so tückisch macht. Die betroffenen Personen sehen die Lage komplett anders und fühlen sich hilflos und mit Gewalt festgehalten.

Ich stand nun also da und überlegte, was ich tun könnte, da sich die Situation immer verschlimmerte. Mit meinen 20 Jahren wäre es kein Problem, ihn mit bloßer Brutalität von Marie loszureißen. Damit würde ich allerdings leicht Gefahr laufen, ihn zu verletzen. Wollte ich aber nicht. In der Zwischenzeit waren noch andere Krankenschwestern gekommen. Die hatten aber alle nicht genug Kraft, Monsieur H. von Marie zu trennen. Und so griff ich energisch seine Hände und drückte mich zwischen die beiden. Er war wirklich noch verdammt rüstig, aber ich war schneller und stärker. Ich drückte ihn aus der Tür und schob ihn auf den Flur. Ich ging mit ihm in den Aufenthaltsraum, wo die anderen Bewohner seelenruhig saßen und Zeitung lasen. Wir setzten uns hin und ich beruhigte ihn etwas. Cathy löste mich dann ab, denn ich wollte nach Hause. Hoffentlich bessert sich sein Zustand so schnell wie möglich, sonst haben wir jeden Abend den selben Mist. Das sind die Momente, die den Job erst richtig hart machen. Auf das ständige Wiederholen von Fragen kann man sich einstellen, aber es ist zermürbend, wenn man einen aggressiven Bewohner vor sich hat und weiß, dass er im Grunde genommen überhaupt nichts dafür kann. Ich habe eine scheiß Angst vor dieser Krankheit. Die wünscht man nicht mal seinem größten Feind. Sich selber am allerwenigsten.

Im Batiment Nord gibt es Probleme dieser Art nicht. Dort leiden die Bewohner eher unter physischen Gebrechen. Wenn der Körper nicht mehr so will, wie er soll. Einer von denen, mit denen ich inzwischen einen etwas regeren Kontakt pflege, Ist Monsieur C. Seine rechte Körperhälfte ist zunehmend gelähmt, jede Woche ein bisschen mehr. Warum weiß ich nicht. Zudem hat er immer stärkere Atemprobleme, sodass er das Bett immer seltener verlässt. Er ist einer der wenigen Bewohner, der Deutsch spricht. Er war im Krieg in Deutschland inhaftiert. Als alles vorbei war, hat er sich eine deutsche Frau angelacht und ein Kind gezeugt. Seine Tochter ist in Deutschland geboren und lebt bis heute in der Nähe von Stuttgart. Französisch spricht sie nur sehr wenig und der Kontakt zu ihrem Vater ist nicht der beste. Das weiß ich alles von seinem Bruder, mit dem Monsieur C. sein Zimmer teilt. Der spricht kein Wort Deutsch, redet aber dafür umso mehr auf Französisch mit mir. Beide freuen sich immer sehr, wenn ich mir etwas Zeit für sie nehme. Wenn er mich sieht, spricht mich Monsieur C. auch nie auf Französisch, sondern grundsätzlich nur auf Deutsch an. Er hat so viel verlernt, sagt er, dass er sich freut, es mit jemanden wieder etwas auffrischen zu können. Na ja, eigentlich ist das nicht Sinn der Sache. Ich will Französisch lernen, aber etwas Heimat kann ab und zu ja nicht schaden.


Ausflüge

Die Donners- tagsausflüge führten uns in diesen Wochen nach Biot, Villeneuve und Antibes. Alles westlich von Nizza gelegen. Mit Biot waren wir zum ersten Mal in einem kleinen Dorf, das nicht an der Küste, sondern etwas im Landesinneren liegt. In der Region und bei Insidern auf der ganzen Welt ist es für eine ganz bestimmte Sache bekannt. Für seine Glasbläsereien. Über 30 davon findet man dort noch heute und alle stellen sie nach alter Tradition edelste Gegenstände aus Glas her. In eine davon fuhren wir. Eintritt kostet es keinen und für unsere Bewohner war es sehr interessant, den Leuten beim Glasblasen zuzusehen. Ich finde es auch immer wieder faszinierend, wie aus einem klumpigen Etwas eine verzierte Vase wird. Das erste Mal war ich im Krongut Bornstedt bei Potsdam in einer Glasbläserei und ich glaube, ich habe über eine Stunde lang zugeschaut. In Biot schauten wir nicht ganz so lange zu, dazu fehlt den Bewohnern die Geduld.

Außerdem war da noch der Verkaufsraum, in dem man die Sachen gleich nach der Herstellung kaufen kann, wenn man das passende Kleingeld hat. Guy hat es irgendwie hinbekommen, dass eine der Verkäuferinnen mir plötzlich einen Schein in die Hand drückte, mit dem ich einen nicht unerheblichen Rabatt auf jeden käuflichen Gegenstand bekommen sollte. Eigentlich wollte ich nichts kaufen, aber dann fiel mir ein, dass ja bald Weihnachten war und ich noch kein Geschenk für meine Mutter hatte. Sie steht auf Blumen und so musste ich nicht lange suchen, bis ich eine wunderschöne Vase gefunden hatte. Die war erst durch den Rabatt bezahlbar geworden. Ich ließ sie mir sehr gut einpacken, da ich erklärte, dass sie eine Reise von Nizza über Paris nach Berlin im Flugzeug heil überstehen sollte. Aber die kennen ihr Handwerk gut und wissen, dass Glas leicht zerbrechlich ist. Na schau mal an. Guy kaufte auch etwas für seine Frau und zufrieden kehrten wir in die hauseigene Kneipe ein, wo ich meine heiße Schokolade bestellte.

Villeneuve, in das es eine Woche später ging, liegt zwischen Nizza und Cagnes direkt hinter dem Flughafen. Ich hatte ja schon mal beschrieben, dass die Ortschaften hier so ausfransen, dass man kaum noch weiß, wann ein Ort endet und wo der nächste beginnt. Genau so verhält es sich bei Villeneuve und Cagnes. Für mich als Entdecker, ein Ort mit zwei Namen. Villeneuve hat eine niedliche Strandpromenade. Im Gegensatz zu Cagnes liegt die aber nicht direkt an einer Straße und so sind die Restaurants und Cafés dort etwas ruhiger. In eines davon gingen wir.

Große Lust auf einen Spaziergang hatte keiner der Bewohner, und es war zugegebener Maßen auch arschkalt. Während sich die anderen unterhielten, beobachtete ich die Flugzeuge, die bei Westwind, nicht weit von der Strandpromenade, landeten. Zum "Spotten" findet man hier sicher einige gute Plätze. Muss ich mal an einem Wochenende mit dem Rad hin, wenn der Wind aus der richtigen Richtung weht. Bevor wir gingen, machte ich noch einige Bilder. Wenn man genau hinsieht, erkennt man ein Flugzeug, nicht größer als ein kleiner Punkt. Aber der Himmel sieht toll aus. Möwen gibt’s da auch, aber die sind eher gelangweilt von dem ganzen Trubel am Himmel.

An dem Tag, an dem wir nach Antibes fuhren, hat es nur geregnet. Aussteigen war daher nicht drin. Mehr oder weniger improvisiert war daher Guys Idee, mit dem Auto durch den Hafen von Antibes zu fahren, in dem im Winter die vielen Luxuskreuzer der Reichen liegen. Dieser Teil wäre im Sommer normaler Weise für „normale“ Menschen geschlossen, aber da im Winter eh kaum Touristen da waren, sparte man sich den Aufwand. Wer wäre schon so blöd, eine gut bewachte Jacht zu klauen, für die man eh eine ganze Crew bräuchte, um abhauen zu können... So kamen wir so nah an die Schiffe, wie sonst kaum einer. Und auch hier war wieder eines größer als das andere. Lagen in Nizza maximal 2 oder 3 dieser Größe im Hafen, waren es hier über 20, Seite an Seite, alle doppelt so breit wie unser Auto lang war. Und auf jedem Schiff sah man Leute. Das wären aber nicht die Besitzer, sondern Angestellte, die es über den Winter in Schuss hielten. Da wurde mir klar, dass man nicht nur die Kohle für das Schiff braucht, sondern auch für die Leute, die darauf arbeiten. Egal, ob der Besitzer an Bord ist, oder nicht. Guy erzählte, dass es teilweise 20 Leute seien. Köche, Putzfrauen etc.

Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Ich habe ja schon einige Male Ferien auf einem Hausboot gemacht, auf dem 7 Leute fahren und schlafen können. Dann ist es aber relativ eng und von Luxus kann man nicht gerade reden. Auf den Teilen hier könnten locker 7 Familien unterkommen, für jede eine Küche und zwei Badezimmer, versteht sich. Bei so viel Reichtum lief mir langsam aber sicher die Galle über. Auf der einen Seite verhungern auf den Straßen, vor den Augen der Passanten, die Bettler, weil sie nichts zu essen haben, und wenige Kilometer entfernt, liegen Schiffe in den Häfen, die locker Platz für jeden einzelnen von ihnen hätten. Nach der Zeit, die ich jetzt schon hier bin, sehe ich einige Dinge inzwischen durchaus kritisch. Eine Armut, die dermaßen offensichtlich und krass, wie die in Frankreich ist, gibt es in Deutschland meiner Meinung nach nicht. Und ich lehne mich, glaube ich, nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass die sozialen Unterschiede, beziehungsweise Begebenheiten, an keinem anderem Ort in Frankreich so krass auseinander klaffen, wie an der Côte d’Azur. Nirgendwo sonst liegen arm und reich dermaßen nahe beieinander.

An keinem Ort in Deutschland habe ich jemals so viele Obdachlose auf den Bürgersteigen liegen sehen, die leeren Wodkaflaschen direkt daneben oder mitten auf dem Weg liegend, so dass die anderen Leute über sie hinweg steigen müssen. Ich frage mich jedes Mal, wie diese Menschen den Winter überstehen können. Bei einem Obdachlosen in Deutschland habe ich mich das noch nie gefragt. Zufall? Ich weiß nicht, wie ich es besser sagen kann, aber wenn ich einen Obdachlosen in Berlin sehe, denke ich an Suppenküche und Obdachlosenheim. In Nizza denke ich an Tod...

An keinem Ort in Berlin sind die Obdachlosen so Teil der Landschaft, wie es hier der Fall ist. Es erschreckt mich immer wieder, wenn ich jemanden, nur in einen Schlafsack gehüllt, vor einer Haustür liegen sehe und er sich nicht bewegt. Ich frage mich jedes Mal, ob derjenige überhaupt noch lebt. Wer kontrolliert das? Die Nächte sind inzwischen bitterkalt geworden. Und dann sind da diese Schiffe. Diese extremen Gegensätze gehören sicherlich zu den schwarzen Seiten der Côte d’Azur. Dort, wo sich Freud und Leid treffen.


Monsieur L macht allen zu schaffen

Vom Leid der Menschen kriege ich auf Arbeit auch genug mit. Monsieur L´s Zustand hat sich weiter verschlechtert. An einem Mittwoch war es ganz schlimm. Ich war alleine mit Julie auf Schicht im batiment sud und sie war einige Minuten bei ihm. Als sie zurückkam, sagte sie, er hätte geweint und erklärt, dass er Angst hätte und seine Kinder sehen wollte. Ganz komisch, diese Vorstellung. In seinen besseren Zeiten habe ich ihn nie ein logisches Wort oder einen Satz mit Zusammenhang sagen hören und jetzt das. Es scheint zu Ende zu gehen mit ihm, und er spürt das so deutlich, dass er Sachen sagen und sich ausdrücken kann, die er in gesünderen Zeiten nicht zu Stande gebracht hätte. Julie hat das ziemlich mitgenommen, ihn so zu sehen und als sie weinend und völlig aufgelöst da saß, war außer mir keiner da, der sie trösten konnte. Ich habe mich etwas um sie gekümmert, aber ich hoffe, dass sich die Gründe dafür nicht häufen werden. Ich sehe sie lieber lächeln. Und die Bewohner lieber munter. Aber Monsieur L wird sterben, das fühlen Julie und ich irgendwie. Vielleicht ist es das Beste für ihn. Dann wird er endlich von seinen Leiden erlöst und mit Ende 80 hat er sein Leben ja auch schon gut gelebt.

Ich habe trotzdem Angst, dass er hier stirbt. Ich bin 20, der Tod hat in meinem Leben doch eigentlich noch nichts zu suchen. In meinem Alter beschäftigt man sich mit anderen Dingen. Aber eine Wahl habe ich ja nicht wirklich. Um es positiv zu sehen: Lieber früher sich mit der Materie vertaut machen, als zu spät. Mit einem wundervollen Himmel, kurz nach dem die Sonne am Horizont verschwunden war, verabschiede ich mich wieder für diese Wochen. Möge Monsieur L´s Sonne nicht das letzte Mal untergegangen sein.

Dienstag, 3. März 2009

Tag 79 bis 85, Woche 10

Ihr merkt es vielleicht an der Überschrift. Ab dem nächsten Bericht ändere ich bis auf Weiteres die Gliederung dieses Blogs und fasse mehrere Wochen in einem Text zusammen. Das liegt erstens einfach daran, dass nicht mehr so viel Spannendes passiert, wie am Anfang und ich das Gefühl habe, dass es mittlerweile etwas schwer ist, meinen Erlebnissen zu folgen, weil sie einfach von zu vielen Wörtern begleitet werden. Zur besseren Übersicht jetzt also die kleine Änderung. Außerdem muss sich ein Autor ab und zu mal was Neues einfallen lassen, damit ihm die Leser nicht davon laufen. Neu werden jetzt kleine Überschriften sein, zur besseren Orientierung. Ich weiß eh nicht, ob das hier überhaupt noch jemand liest. Manon tut es, das weiß ich. Plus meine Eltern wären das drei. Hey ihr anderen Schlafmützen, meldet euch mal zu Wort, damit ich weiß, dass ich nicht umsonst so viele Stunden meiner wenigen freien Zeit damit verbringe, Texte zu schreiben, die dann kaum einer liest.


Die Berge sind weiß

Die neue Woche brachte nicht viel Neues. Ich zähle die Wochen und Tage bis Paris. Ich kann es kaum erwarten, nach Berlin zurückzukehren nach so langer Zeit. Mir geht so viel im Kopf herum, wenn ich an den Moment denke, wenn ich in Schönefeld das Flugzeug verlassen werde. Wie wird es sich anfühlen? Ich bin schon sehr gespannt. Das ist neu für mich, dieses Heimkehren. Aber zuerst ist da der Arbeitsalltag und der ist mehr oder weniger der Selbe wie immer. Das Gegenteil stellt dafür das Wetter dar. Nie langweilig und nie gleich. Fast zeitgleich kamen Sylvie und Cathy zu mir, ob ich denn schon gesehen hätte, dass die Berge komplett weiß seien, die sich in einiger Entfernung hinter der Colline auftun. Am Abend zuvor war davon noch nichts zu sehen gewesen. Über Nacht hatte es dort scheinbar dermaßen heftig angefangen zu schneien, dass schon Mitte November auf den Gipfeln alles weiß war.

Im Laufe dieses Arbeitstages kam ich mit Bewohnern im Schlepptau mehrere Male an den Stellen der Colline vorbei, von denen aus man einen tollen Blick auf die Berge hat. Fast jedes Mal blieben die Bewohner stehen, um es sich kurz anzuschauen. So was sieht man hier schließlich nicht sehr oft. Es kam mir jedes Mal wie ein umgedrehtes Pompeji vor, in dem die Leute ehrfürchtig zum Vesuv hochschauen, der Gesprächsthema Nummer eins ist, weil er seit kurzem keine schneebedeckte Spitze mehr hat. Bei hohen Vulkanen ist das kein gutes Zeichen, denn es zeugt von Aktivitäten im Inneren, die den Schnee auf der Spitze schmelzen lassen. Dann ist immer Vorsicht angesagt. Der Vesuv ist kein erloschener Vulkan, aber seine Spitze war das letzte Mal schneefrei, als sein Ausbruch das kleine Städtchen Pompeji vernichtete.

Vulkane gibt es hier keine, aber trotzdem schaut man zu den hohen Bergen auf, die in seltener Pracht in den Himmel ragen. Ich würde gerne wenigstens einmal Skifahren gehen. Die Saison fängt meistens Anfang Januar an, wenn genug Schnee liegt. Aber dieses Jahr scheint das ja deutlich früher los zu gehen. Mal schauen, ob ich das hinkriege. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch Ski fahren kann. War ja erst ein Mal und das ist 6 oder 7 Jahre her. In Süd-Tirol, als Klassenreise. War sehr toll, auch wenn ich drei Tage gebraucht habe, bis die Skier das machte, was ich wollte. Bis dahin war es immer umgekehrt gewesen. Selbst auf einer ebenen Fläche habe ich es hinbekommen, dass sich die Dinger in Bewegung setzten, ohne dass ich mich bewegte. Meistens rutschte ich rückwärts. Und da ich das mit dem Bremsen noch nicht so drauf hatte... Plums eben. Am dritten Tag waren wir schon etwas weiter und auch nicht mehr auf den Babypisten. Und als ich dran war, langsam und immer in Kurven einen kleinen Hügel runter zu fahren, bin ich zu schnell geworden und hatte keine andere Wahl mehr, als am Ende der Piste vor einem kleinen Abgrund vor den erstaunten Augen der anderen elegant abzubremsen und zum stehen zu kommen. So ganz ohne Plums. Coole Sache. Ab da fand ich das Skifahren extrem toll. Wär also mal ein Versuch wert, zu sehen, ob ich es noch kann. Wenn es so ist, wie Fahrradfahren, hab ich kein Problem. Denn das verlernt man ja nie. Sagt man zumindest.


Der nächste Ausflug

Am Donnerstag war es wieder soweit. Diesmal sollte es nach Antibes gehen. Also in genau die andere Richtung, wie die Woche zuvor. Ich fand das Spitze, denn so lernte ich während der Arbeitszeit ein bisschen besser die Gegend kennen. Die berühmte Klappe, die gleich zwei Fliegen schlägt. Madame Roche hatte Guy eine Liste mit Namen der Bewohner genannt, die diese Woche mit sollten. Kurz vor der Mittagspause erschien er dann aber im Centre, wo ich gerade mit Cathy eine Animation am Laufen hatte und sagte mir, dass sich alles geändert habe. Da es ja wieder um 13:30 Uhr los gehen sollte, suchte ich ihn gleich nach der Pause auf, um zu besprechen, wen wir alternativ mitnehmen könnten. Die Liste war schnell erstellt und ich machte mich auf die Suche nach den Bewohnern, um sie zu fragen, ob sie denn überhaupt mitfahren wollten. Bis auf Monsieur I wollten alle der Befragten und nachdem den Schwestern mitgeteilt worden war, wer die Colline für wenige Stunden verlassen würde, konnte es losgehen. Monsieur I ist einer der Künstler der Colline. Über 90 Jahre alt, aber kein Bisschen senil. Ein sehr kluger Mensch, der mir jedes Mal was von seinen Lebensweisheiten mit auf den Weg gibt, aber viel über die Gesellschaft meckert. Gerade bei der Revue de Presse läuft er zu Hochform auf. An sich finde ich das ja nicht schlecht, wenn das mal einer tut, aber irgendwann wünscht man sich dann doch, er würde ab und zu die CD wechseln. Aber er malt ganz fantastische Bilder, die überall in der Colline aushängen. Normaler Weise ist er jemand, der gerne mit auf Ausflüge geht. Diesmal halt nicht.

Das Wetter war absolut spitze, der Himmel war strahlend blau, keine einzige Wolke war zu sehen und in der Sonne war es sehr warm. Fast zu warm für meinen neuen, weißen Wollpulli. Den hatte ich mir bei C&A gekauft. Zusammen mit einer coolen Jeans. Man gönnt sich ja sonst nichts. Und das Beste daran: Wenn man zur Kasse geht und die Bügel vorher nicht abgenommen hat, packen die Verkäuferinnen die mit ein. Absicht oder Dusseligkeit? Egal, ich hatte bei mir in meinem kleinen Schrank nur zwei lächerliche Bügel. Ich wunderte mich zwar, hielt aber brav die Klappe. Neuen Pulli und als Bonus nen Kleiderbügel eingesackt. So geht man erfolgreich einkaufen. Im Schatten war es an diesem Donnerstag allerdings unangenehm kalt, daher war es vielleicht doch die bessere Wahl gewesen, den Pulli anzulassen. Zusätzlich nahm ich meine Jeansjacke mit und so ging es los.

Wir fuhren die gewohnte Strecke des 22er hinunter, bogen vor der Uni rechts ab und fuhren dann zur Promenade des Anglais. Auf der fuhren wir dann immer gen Westen. Vorbei am Flughafen, aber die Strecke kannte ich ja schon von letztem Samstag. Kurz hinter dem Flughafen kreuzt die Schnellstraße einen kleinen Fluss, der, aus den Bergen kommend, im Meer endet und irgendwie in mehrere kleine Rinnsale unterteilt ist. Als ich nach rechts blickte, kam mir das Bild, das sich mir bot, irgendwie bekannt vor. Die hohen Berge, der kleine Fluss, der ins Meer floss, die etwas karge Landschaft. Klingt vielleicht komisch, aber es erinnerte mich total an die Türkei. Der Abschnitt vor unserem Hotel 40 km von Antalya entfernt, in dem Mama und ich im Frühjahr 2006 waren, sah wirklich so ähnlich aus. Weitläufige Landschaft, die Häuser waren hier auch nicht sehr modern, dazu die Hintergrundkullisse mit den Bergen und dem kleinen Flüsschen. Passte alles. Nur die Sprache war anders. Und wenn ich stark genug daran dachte, glaubte ich fast, wirklich dort zu sein.

Wir folgten immer der Küste und irgendwann hinter dem Flughafen und dem Flüsschen erreichten wir das nächste kleine Städtchen. Cagnes sur Mer. Wunderschön, bereits im Vorbeifahren. Die Uferpromenade ist ähnlich wie die in Nizza angelegt, nur irgendwie schöner. Sie war weniger überlaufen und wirkte in dem Moment auch idyllischer. Nicht so international, nicht so groß. Eher ruhig, verträumt und bodenständig. Kann eine Promenade bodenständig sein? Manchmal fallen einem ja bekloppte Wörter ein und man weiß überhaupt nicht, ob sie gerade passen... Der Strand wirkte ebenfalls natürlicher. Nicht künstlich angelegt, für die Touristen. Die Steine sind aber auch hier sehr groß. Aber was ich sah, gefiel mir sehr. Rechter Hand kamen wir wenige Meter hinter dem Stadtkern an der riesigen Pferderennbahn vorbei. Hippodrome de la Côte d’Azur, so heißt es. Wahrscheinlich lassen hier im Sommer die Scheichs ihre Pferde gegeneinander antreten. Um was wetten wir heute? Um deinen kleinen Privatflieger? Um dein Haus? Ganz egal welches. Unglaublich, was sich einem für ein Protz bietet, wenn man Nizza einmal verlässt.

Die Straße verläuft übrigens immer ganz flach, direkt am Meer entlang, im Gegensatz zum Osten von Nizza, in dem wir die letzte Woche waren und wo die Straßen schon mal kleine Höhenunterschiede aufweisen. Und noch besser ist der fast durchgängige Radweg. Zweispurig. Bis zum Flughafen hatte ich den ja schon ausprobiert, aber dass er noch so viel weiter geht, hätte ich nicht gedacht. Dementsprechend viele Skater und Radfahrer waren unterwegs, um das tolle Novemberwetter zu genießen. Was für ein Widerspruch. Die Côte d’Azur macht es möglich. Und ich war mittendrin. In dem Moment fühlte ich mich irgendwie verdammt wohl. Wenn ich zurückdenke, hätte ich wohl nicht erwartet, dass es mir so gefallen würde. Na ja, nicht alles. Vor uns tat sich etwas auf. Noch in weiter Ferne sah man die Konturen eines riesigen Gebäudes auftauchen. Guy sagte, es wäre eins. Hätte er das nicht, ich hätte es für einen kleinen Berg gehalten. Meine Augen sind ja eh nicht mehr die besten. Jaja, das verdammte Alter. Je näher wir meinem Berg kamen, desto deutlicher erkannte ich dann aber doch, dass es das vielleicht hässlichste Gebäude war, das ich hier bisher gesehen hatte. Und das größte. Das Ganze ähnelte mehr einem ganzen Stadtteil. Mit eigenem Hafen. Dessen Einfahrt führt mitten durch das Haus hindurch. Wie ein großes Tor. Es ist ein sehr langes und auch recht hohes Haus. Guy erzählte mir, dass es eine Marina mit angeschlossenen Wohnungen sei. Alles Luxus pur. Hm, wer wird da wohl drin wohnen? Na ja, zu den Pferden ist es ja nicht weit.

Nachdem wir das alles hinter uns gelassen hatten, gelangten wir auf den Abschnitt der Straße, der immer geschlossen wird, wenn das Wetter spinnt. Jetzt wusste ich wieso. Viel trennt die Autos wirklich nicht von den Wellen. Und auch an diesem Tag war es inzwischen recht stürmisch geworden. Wir hielten kurz an. Ich wollte einige Bilder machen. Ich blickte auch einmal zurück. Echte Berge im Hintergrund und im Vordergrund dann das hässliche Teil, das ich für einen dieser Berge gehalten hatte. Auf dem Bild erkennt man gut den Schnee, und auch das ungemütliche Meer. Aber dieses Gebäude zerstört die ganze Landschaft. Wie kann man so was da hinbauen? 70 Prozent der Wohnungen darin stünden übrigens leer, wie Guy mir erklärte. Da wollte sich wohl nur ein durchgedrehter Investor verewigen. Ob der Bedarf solch einen Klotz rechtfertigt, scheint solchen Typen eh egal. Wir fuhren weiter auf der Straße am Meer entlang. Parallel zu uns verlief nun auch wieder die Eisenbahntrasse, die kurz hinter dem Flughafen einen kleinen Knick gemacht hatte, um die kleinen Städte zu umfahren. Zwischen den Ortschaften führt die Trasse dann oft wieder direkt am Meer entlang, immer parallel zur Straße.

Von Antibes hatte ich zum ersten Mal gehört, als ich mir bei studiVZ ein Fotoalbum von Sarah anschaute, die dort in den Sommerferien einmal Urlaub gemacht hatte. Sie ist in meinem Ruderverein und ne gute Freundin von Dario. Sie war zumindest noch in dem Verein, als ich weggegangen bin. Wie auch immer, ich wusste damals nicht, in welchem Land sich Antibes befindet. Und jetzt fuhren wir gerade am Ortseingangsschild vorbei. Gleich dahinter beginnt der Hafen. Inzwischen weiß ich, dass Antibes fast so groß wie Potsdam ist, und es die Schönen und Reichen ungefähr so anzieht, wie die Fliegen das Licht. Dementsprechend auch der Hafen. Warum kommt es mir nur so vor, als müsse man sich einfach die Häfen der Städte an der Côte d’Azur ansehen, um zu wissen, was sich dort für ein Klientel rum treibt. Oder anders ausgedrückt: Sind die Häfen von Monaco und Nizza voll... Antibes hat immer eine offene Hafeneinfahrt sozusagen. Aber man kann es den Reichen nicht mal übel nehmen, hierher zu kommen. Ist eine wunderschöne Stadt. Schon gleich am Anfang begrüßen einen begrünte Mittelstreifen und tolle Springbrunnen, während sich die Sonne am blauen Himmel in deren Wasser spiegelt und die Palmen das Ganze abrunden. Es machte einen extrem gepflegten Eindruck. Dazu muss man sagen, dass Nizza zwar die unbestrittene Hauptstadt der Côte d’Azur ist, sich aber nie zu schade ist, auch mal wie eine normal bürgerliche Stadt zu wirken. Das macht sie vielleicht erst so anziehend.

In dem Moment, in dem wir am Hafen vorbei fuhren, beneidete ich Cathy etwas, an so einem schönen Fleck zu wohnen. Wie war das? Das Gras auf der anderen Seite sieht immer grüner aus? Also sollte ich mich lieber glücklich schätzen, in Nizza gelandet zu sein. Ich behaupte mal, dass ich landschaftlich das herrlichste Projekt von allen 150 ASF-Freiwilligen ergattert habe. Obwohl ergattert da ja irgendwie das falsche Wort ist. Ist aber egal, es ist toll hier, alles andere ist nebensächlich. Auf jeden Fall hat sich Cathy nicht den schlechtesten Ort zum Leben ausgesucht. Antibes hat eine extrem gut erhaltene und restaurierte Altstadt und die alten Festungsmauern sind noch alle intakt. Hinter dem Hafen muss man diese Mauern durch ein relatives kleines Tor passieren, um in die Altstadt zu gelangen. Und die Welt dahinter ist nicht die selbe, wie davor. Kein Protz mehr, kein Luxus und keine Moderne. Nein, hier findet man sich im ersten Moment im 19. Jahrhundert wieder. Bis einem dann ein Mercedes CLS 600 entgegenkommt. Dann weiß man wieder, was Sache ist. Aber trotzdem laufen die Uhren hier anders. Alles scheint langsamer zu gehen. Schnell fahren kann man wegen des knappen Platzes innerhalb der Mauern nicht und die Bäckereien, die sich noch heute in Familienbesitz befinden, sind wie eh und je gut frequentiert. Nichts geht über ein duftendes, noch warmes Baguette. Die berühmte französische Lebensart eben.

Irgendwann verließen wir den alten Teil Antibes’ wieder und der bürgerliche Teil begann, mit normalen Wohnhäusern und großen Supermärkten. Als wir fast wieder außerhalb von Antibes waren, hielten wir an. Wir gingen in ein Strandcafe. Hier war der Strand wunderbar sandig. Von großen Steinen nichts zu sehen. Sollte ich mir merken. Die nächste Badesaison kommt bestimmt. Mit dem Rad bin ich in ner Stunde hier. Wir setzten uns alle in die Sonne, mit den Schuhen im Sand. Ist das geil. Das kann nicht mal das Zeitlos an der Spree toppen. Sorry Berlin. Aber Südfrankreich ist einfach Südfrankreich. Wir bestellten unsere Getränke. Ich nahm wieder die heiße Schokolade. Wird wahrscheinlich jetzt zur Tradition, dass ich bei jedem Ausflug nichts anderes nehmen kann, als das. Und 4 € die Woche kann ich auch noch verknusen. Gewohnt saftige Preise.

Als jeder sein Getränk hatte, lehnte ich mich einfach mal zurück, lies die anderen reden und atmete tief ein. So riecht normaler Weise die Luft, die man im Urlaub riecht. In dem Moment dachte ich nur: Ich bin im bezahlten Urlaub. Geil! Aus einer der großen Musikboxen, die im Sand standen, klang dann Hotel California von den Eagles. Okay, jetzt passte wirklich alles. Außer das mit dem Bezahlen. War der selbe Kampf, wie die Woche zuvor. Meine Stimmung war aber so gut, dass ich nur grinsend meine 4 € auf den Tisch legte und die Sonnenbrille wieder aufsetzte. Als Zahlmeister wurde ich nicht eingestellt. Gut, zum in der Sonne sitzen eigentlich auch nicht, aber es bot sich gerade so toll an.

Nachdem wir die Bewohner alle im Auto hatten und jeder vor- schriftsmäßig angeschnallt war, machten wir uns auf die Rückfahrt. Gegen 17 Uhr waren wir dann wieder in der Colline und ich begleitete zwei der Bewohner in ihre Gebäudeteile. Alle waren sie zufrieden gewesen, einen schönen Nachmittag am Strand verbracht zu haben. Dann wird es sie ja freuen, dass wir das nächste Woche wieder machen, sagte ich dann. Sie sind ein Schatz Simon, kriegte ich dann zu hören. Ja, schrecklich, wenn das so offensichtlich ist. Nein, das meine ich natürlich nicht wirklich so. Ich war noch nie eingebildet, das wird sich hier nicht ändern. Aber ich hatte noch nie so das Gefühl, einen verdammt guten Job zu machen, wie hier. Das darf man doch mal von sich sagen. Es gibt schließlich wenige Dinge, die so eine Herausforderung darstellen, wie eine Arbeit in einem fremden Land zu verrichten. Wenn man dann das Gefühl hat, alles total im Griff zu haben, kann man sich gerne auf die Schulter klopfen.

Mit einem wundervollen Sonnenuntergang war auch diese Woche vorbei und Weihnachten und damit Paris und Berlin rückten mit erstaunlich großen Schritten näher. Mit Cathy rede ich oft darüber und dann sagt sie immer, dass es ja nur noch knappe 4 Wochen seien. Aber nach so schönen Erlebnissen, wie dem Ausflug am Donnerstag, weiß ich gar nicht, ob ich nach Weihnachten traurig sein soll, Berlin wieder verlassen zu müssen, oder ob ich mich freuen soll, wieder an meine wunderschöne Côte d’Azur zurückzukehren. Erst mal muss ich es schaffen, in den wenigen Tagen in Berlin alles unter einen Hut zu kriegen. Mama hatte mich nämlich angerufen und erzählt, dass meine Mannheimer Tanten Gisela und Helga über Neujahr kommen wollen. Vielleicht zu früh, darüber nachzudenken.
Sicherlich werden mich viele Freunde sehen wollen, Geschenke muss ich auch noch kaufen, hier komme ich nicht dazu. Wird weniger entspannend, aber umso einmaliger.