Dienstag, 2. Dezember 2008

Tag 36 bis 42, Woche 4

Wie gesagt, ich reise gerne und so oft es geht und das Jahr 2008 stellt das bisher reiselustigste dar. Im März war ich in Irland, das bis dahin tollste Land, das ich bereist habe. Des weiteren war ich in der ersten Jahreshälfte in Mannheim, Braunschweig und schliesslich, im Juni 2008, das erste Mal in Paris. Wenn ich heute daran denke, dass ich unglaubliche 20 Jahre gebraucht habe, um einmal in diese unbeschreibliche Stadt zu kommen, kann ich es fast nicht glauben. Inzwischen ist der Gedanke, „geschäftlich“ nach Paris zu müssen nämlich zur Gewohnheit geworden. Das Entsendungsseminar vom 11. bis 15. September fand dort statt und am 17. Dezember muss ich wieder hin, erneut zu einem Seminar mit allen Frankreich-Freiwilligen. Die Daten der nächsten Seminare wurden uns nämlich letzte Woche mitgeteilt, damit wir schon jetzt die Tickets für die An- und Abreise kaufen können. Kennt man ja inzwischen. Je früher, desto billiger. Ich freue mich jetzt schon. Paris ist wie Berlin, es wird nie langweilig. Wobei ich sagen muss, dass ich an meinen ersten Aufenthalt in Paris nicht unbedingt die besten Erinnerungen habe. An die Stadt schon, aber nicht an die Umstände. Und das kam so:

Als ich im März die Zusage von Aktion Sühnezeichen erhielt, war ich natürlich überglücklich. Ich hatte selbst nicht wirklich dran geglaubt, zudem ich ja eigentlich nach New York wollte, aber nach der Zusage war ich an dem Punkt angekommen zu sagen, dass ich jedes Land nehmen würde, Hauptsache mal weg aus Deutschland. Frankreich rangierte zwar auf meiner Prioritätenliste an zweiter Stelle hinter den Vereinigten Staaten, stellte für mich aber im Grunde genommen nur eine Notlösung dar, falls es mit den USA nicht klappen sollte. Außerdem befremdete mich der Gedanke, in ein Land zu gehen, mit dessen Sprache ich ja mal überhaupt nicht zurecht kam. Aber wie gesagt, ich glaube an das Schicksal und nach der Absage für die USA und der Zusage für Frankreich dachte ich irgendwann, dass es schon für irgendwas gut sein würde.

So gewöhnte ich mich an den Gedanken, ins Land der Weintrinker und Froschschenkelesser zu gehen. So viel zu allgemeinen Klischees. Als Projekt wurde mir die Arche in Paris zugeteilt und je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir der Gedanke auch. Paris. Da war ich noch nie. Die ganze Welt schwärmt von ihr, der Stadt der Liebe und außerdem entsprach es wie New York meinem gewohnten Großstadtschema. Ich hatte ASF nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich für ein Projekt auf dem Land oder in einer kleinen Stadt nicht zur Verfügung stehen würde. Ich kann einfach nur dort leben, wo auch wirklich Leben stattfindet. In pulsierenden Großstädten. Alles andere macht mich auf Dauer nur depressiv und würde mich wahrscheinlich eingehen lassen wie eine Primel. Und oft entspricht der Horizont von Kleinbürgern auch der Größe ihres Dorfes. Definitiv nix für mich. Mannheim ist sicherlich kein Dorf, im Gegenteil. Dort leben über 320.000 Menschen, die ganze Region mit Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg hat rund 1 Mio. Einwohner und liegt in mitten einer der wirtschaftstärksten Regionen Europas, vielleicht sogar der Welt. Aber internationales Flair gibt es dort nicht. Keine Touris aus 100 Nationen, eben keine Weltstadt.

Versteht mich nicht falsch, ich liebe Mannheim, schließlich bin ich dort geboren und habe die ersten drei Lebensjahre verbracht. Und ich bin gerne dort, um meine Familie und Freunde zu besuchen. Für die Zeit eines Besuches ist es toll, dass fast die gesamte Familie innerhalb von 20 Minuten mit dem Rad abgeklappert werden kann, da alle im selben Stadtteil leben beziehungsweise die Entfernungen einfach nicht sehr groß sind. Aber irgendwann fehlt mir die Weite, die eine Metropole bietet, eine Stadt wie Mannheim aber nun mal nicht. Ich bin es einfach gewohnt, mir auf bvg.de die schnellste Verbindung rauszusuchen, wenn ich mal nicht weiß, wie ich am besten in die Disko oder eine neue Bar komme. Fahr ich Ringbahn oder Stadtbahn, S-, U- oder Regionalbahn? Bus oder vielleicht sogar Straßenbahn? Wo kreuzen sich die Linien, wo muss ich umsteigen, welche Station liegt dem Ziel am nächsten? Fragen, die Mannheimer wahrscheinlich überfordern würden, für mich aber zum ganz normalen Alltag in einer Weltstadt gehören. Aber genau so was brauche ich. Ich muss es fühlen können, die Großstadt. Ich will sie riechen und hören können, den täglichen Wahnsinn auf überfüllten Straßen erleben. Menschen aus der ganzen Welt, egal ob Studenten, Touristen, oder Zugezogene an der Kasse eines Supermarktes treffen. In einer Stadt wie Berlin oder Paris trifft sich die Welt. Ja, das, genau das ist Leben. Aber eines kann mir Berlin nicht bieten und das sind meine Wurzeln. Die liegen nun mal in Mannheim, darauf bin ich stolz und das ist auch gut so. In mir schlagen nun mal zwei Herzen. Eines für die Kurpfalz, eines für Berlin.

Nicht lange nach meiner Zusage bei ASF wurde mir klar, dass ich zur Vorbereitung einen Sprachkurs belegen müsste. Vier Jahre Französisch in der Schule waren größtenteils spurlos an mir vorbei gegangen und mehr als einige wenige Vokabeln und die allergröbsten Grundlagen der Grammatik fand ich beim Kramen im Gedächtnis nicht wieder. So konnte ich auf keinen Fall meinen Dienst beginnen. ASF rät auch allen Freiwilligen, sich durch einen Sprachkurs zumindest etwas vorzubereiten. Aus Erfahrungen wisse man, dass den Freiwilligen die Eingewöhnung so deutlich leichter fallen würde. Insgeheim erinnerte ich mich wieder daran, warum ich die USA als erste Wahl getroffen hatte. Es ist nicht nur das Land, von dem trotz allem immer noch der größte Reiz ausgeht. Es ist die Sprache. Englisch ist nicht nur Weltsprache, sondern auch relativ einfach. Ist irgendwie typisch für mich. Ich hab das als eine Marotte von mir entlarvt. Ich probiere oft, mit dem minimalen Einsatz den maximalen Nutzen rauszuholen. Zumindest in der Schule ist das aber gehörig in die Hose gegangen. Ich bin eben ne faule Sau, wie Benny immer sagt. Und er hat dabei wohl auch recht. Für die USA bräuchte ich keinen Sprachkurs. Meine Grundlagen sind völlig ausreichend. Für das spätere Berufsleben wäre es hilfreich und auf einem Lebenslauf tut sich ein Jahr in den USA immer gut, so waren nach Ausloten aller Vor- und Nachteile schnell die Vereinigten Staaten die Sieger meiner Wahl.

Es war lustig zu beobachten, wie diese Sichtweise sich Schritt für Schritt änderte, nach dem klar war, wohin es für mich am Ende wirklich gehen würde. Ich sah es nun als noch viel besser an, eine zweite Fremdsprache zu vertiefen. Wie gesagt, Englisch kann ich ja schon recht gut, warum also nicht noch Französisch? Mit drei Sprachen, die man mehr oder weniger gut beherrscht, stehen einem viele Türen offen. Und so wurde mir klar, dass letztendlich Frankreich eine noch viel bessere Wahl sei, als die USA. Das mag jetzt so klingen, als gehe es mir bei der ganzen Angelegenheit nur um das Sprachliche. Sicher, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es eine wichtige Frage ist. Aber für mich ist, war und bleibt die politische Angelegenheit von so einem Jahr das Hauptkriterium. Aber wie gesagt, ich bin ein Mensch, Marke rationaler Nutzmaximierer. Für mich ergibt es keinen Sinn, nach Weißrussland oder in die Ukraine zu gehen. Sprachlich gesehen. Ich gehe eher weniger davon aus, dass ich in meinem späteren Leben einmal von einem Vorgesetzten gefragt werde, warum ich denn nicht Ukrainisch (gibt es das überhaupt, oder spricht man dort eh russisch??) spreche und wieso ich mit Kyrillisch nichts anfangen kann. Englisch und Französisch sind da einfach ne andere Liga.

Irgendwann meldete sich meine zukünftige Länderreferentin bei mir, Frau Kettnaker. Sie sitzt wie alle anderen Länderreferenten im Hauptbüro in Berlin und für jedes Land gibt es jeweils eine zuständige Person. Nicht zu verwechseln mit den jeweiligen Länderbeauftragten, die direkt vor Ort im ASF-Büro des jeweiligen Landes residieren. Von Nicola hatte ich ja schon erzählt, sie arbeitet mit Idan im ASF-Büro in Paris. Beide, Nicola und Frau Kettnaker, haben mehr oder weniger die selbe Funktion im Bezug auf die Freiwilligen, wobei Frau Kettnaker für die Zeit vor dem Beginn des Dienstes für uns zukünftige Franzosen zuständig ist. Nicola dagegen begleitet uns unmittelbar während des Dienstes, leitet die Seminare in Paris und ist die erste Ansprechperson, wenn es im Projekt Probleme oder Sorgen gibt. Frau Kettnaker stellte sich in einem Brief vor, erklärte ihre Funktion und listete noch einmal alle wichtigen Dinge auf, die vor Beginn des Dienstes unbedingt erledigt werden müssten. Und auch sie riet zu einem Sprachkurs und teilte uns im gleichen Atemzug mit, dass ASF für uns beim Deutsch-Französischen Jugendwerk Stipendien reserviert hätte. Das mitgesendete Antragsformular müsse so schnell wie möglich ans DFJW zurückgesendet werden, um die Chance auf das Stipendium zu wahren. Diese sind zwar reserviert, aber dennoch nicht sicher. Abgelehnt werden diese in Fällen wie unseren aber wohl eher selten, da sich das DFJW auf politischer Ebene auf einer Wellenlänge mit ASF bewegt und den kulturellen Austausch fördert.

Seitens ASF wurden uns zwei Sprachschulen in Frankreich mitgeteilt, mit denen ASF seit langem erfolgreich zusammenarbeitet. Die eine in La Rochelle an der französischen Atlantik-Küste, die andere in Vichy, im Herzen Frankreichs. Das Stipendium würde nur im Zusammenhang mit einer der beiden Schulen ausgezahlt werden und für einen Sprachkurs von 3 beziehungsweise 4 Wochen gelten. Ganz schön lange dachte ich mir im ersten Moment. Aber nach Rücksprache mit meinem Vater und später auch meiner Mutter war klar, dass ein Sprachkurs in Berlin zwar deutlich billiger wäre und auch nicht so viel Organisation mit sich ziehen würde, ein Sprachkurs in dem Land der betreffenden Sprache aber sicherlich die besseren Ergebnisse liefern würde. Eigentlich hatte ich nie vor gehabt, so ein großes Ding aus einem Sprachkurs zu machen, aber jetzt, mit dem Stipendium, erschien das eine coole Sache für mich. Warum also nicht? Ich entschied mich für die Sprachschule in Vichy. Cavilam heißt sie. La Rochelle schien mir etwas zu abgelegen. Hat zwar einen Flughafen, aber aus Deutschland fliegt da keine Airline hin. Mit so was kenne ich mich aus. Ich kann sofort sagen, welche Airline wie oft von Berlin nach sonst wohin fliegt. Vichy hat zwar keinen Flughafen, aber Lyon ist nicht so weit weg und seit November 2007 bot Easyjet einen täglichen Flug von Berlin dorthin an. Inzwischen wurde der aber leider wieder eingestellt. Das war eigentlich das einzige Kriterium, warum ich mich für Cavilam entschieden hatte, so dämlich das klingt. Das 180 km entfernte Lyon mit dem täglichen Flug in die Heimat. Hat vielleicht auch was mit meinen Reiseträumen zu tun. So viele Airports wie möglich sehen. Bahnhöfe sind doch langweilig. Nur so und nicht anders wäre ich aber nach La Rochelle gekommen. Also hieß der Gewinner Vichy mit Cavilam. Schon komische Kriterien, nach denen ich manchmal auswähle.

Die Wochen vergingen, es wurde April, der Antrag fürs Stipendium war schon abgeschickt, die Bearbeitung sollte 4 bis 6 Wochen dauern und es ging so langsam der Papierkrieg los, den ein Jahr im Ausland nun mal mit sich bringt. Formulare hier, Informationen da. Irgendwann Anfang April war auch die genaue Projektbeschreibung inklusive Berichten der aktuellen Freiwilligen eingetrudelt. Auf dem Info- und Auswahlseminar im Januar konnte man sich zwar von jedem Projekt die ausführlichen Berichte durchlesen, die jeder aktuelle Freiwillige für die nachfolgenden Generationen anfertigen musste, aber wer konnte sich da schon ernsthaft alle wichtigen Punkte merken und den Überblick behalten. Zudem man zu dem Zeitpunkt ja eh nicht wusste, ob man genommen und wenn ja, in welches Land und Projekt man gesteckt werden würde. Ich hatte mir auch nur Berichte von den Projekten in den USA durchgelesen und so las ich nun erstmals interessiert den Bericht über die Arche in Paris, mein zukünftiges Projekt. Die Arche verfolgt das Konzept des Zusammenlebens behinderter und nichtbehinderter Menschen in einer Art Wohngemeinschaft. Klang zuerst wenig reizvoll, zudem der Satz „Projekt mit sehr geringer Freizeit“ mir gar nicht in den Kram passte. Aber auch hier gewöhnte ich mich mit der Zeit an den Gedanken. Du ziehst das jetzt durch, sagte ich mir immer wieder, egal was kommen mag. Du bist angenommen, das lässt du dir auf keinen Fall entgehen. So puschte ich mich ein bisschen selber. Half ja auch. Irgendwann gab es keinen Widerwillen gegen das Projekt mehr und die Vorfreude auf Frankreich, auf Paris und die Erfahrungen, die dort auf mich warten würden, überwogen vor der Angst und dem Zweifel.

In der Projektbeschreibung stand auch, dass die Arche in Paris das einzige Projekt sei, das eine Hospitation voraussetzen würde. Was so viel heißt wie, dass ich mich dort erst einmal vorstellen müsste, bevor ich meinen Dienst dort beginnen könnte. Gut, dann würde ich also irgendwann in diesem Jahr vor dem 1.September, dem offiziellen Dienstbeginn, nach Paris reisen. Schritt für Schritt wurde mir aber klar, dass es mit der Zeit langsam knapp wurde, mit all den Sachen, die ich vor hatte. Da war der geplante Sprachkurs, vier Wochen. Dann die Woche zum Vorstellen in Paris und zudem noch eine Woche Urlaub an der Costa Brava mit Benny, seiner Freundin Ari und noch vier anderen Leuten. Übrigens einer meiner Reiseträume, die ich mir erfüllt habe. Urlaub mit Benny. Per Flugzeug wohlgemerkt. Nicht per Auto, wie wir es schon öfter gemacht hatten. So waren wir mit seinen Eltern schon im Harz und an der Ostsee. Diese ganzen Sachen mussten also zwischen Mai und September steigen, wobei der Termin des Urlaubes ja schon fest stand. Gebucht hatten wir schon Anfang des Jahres für den Zeitraum vom 26. Juli bis 2. August. Viel Luft war da nicht. Das Stipendium war noch nicht bewilligt und wehe, die Kollegen der Arche aus Paris würden Faxen machen. Zudem ich mir wie immer viel Zeit für die Bearbeitung der Sachen genommen hatte und das Anmeldeformular fürs Stipendium gerade noch fristgerecht weggeschickt hatte. Irgendwie bin ich ja auch ein Idiot und selber Schuld, wenn ich in so Lagen komme.

Es wurde Ende Mai, das Stipendium lies auf sich warten und mittlerweile war ich auch mit der Arche in Kontakt, um mögliche Termine für meinen Vorstellungs-Besuch auszuloten. Bei der Sprachschule hatte ich mich schon angemeldet, mit dem Hinweis, das dies hinfällig werden würde, sollte das Stipendium nicht bewilligt werden, da ein Sprachkurs sonst nicht finanzierbar für mich sei. Vier Wochen kosten in Cavilam immerhin gute 1.200 €, ohne Unterbringungskosten. Und es geschah genau das, was ich befürchtet hatte. Die Chefin der Arche war mit keinem meiner Terminvorschläge einverstanden. Einmal war sie zu der Zeit im Urlaub, einmal passte es ihr aus anderen Gründen nicht und im August sei die Arche komplett geschlossen, ein Besuch also ausgeschlossen. So hätte es mir aber eigentlich am besten gepasst. Nach dem Urlaub ganz entspannt nach Paris. Jetzt musste ich auch noch diesen Termin in meinen mittlerweile überfüllten Terminkalender zwischen Juni und Ende Juli quetschen. Auf jeden Fall wollte ich aber nach meinem Sprachkurs nach Paris, um so gut vorbereitet wie möglich zu sein. Andersrum stellte absolut keine Alternative dar. Mit meinem katastrophalen Französisch würde ich mich dort niemals so präsentieren können, wie ich es für notwendig erachtete, da mir dazu das Vokabular und die Übung fehlten. Irgendwann wurde mir aber klar, dass ich keine Wahl hätte, als vor dem Sprachkurs in Paris anzutreten. Schöne Scheiße sage ich euch.

Mit der Chefin der Arche kam ich von Anfang an nicht zurecht, sie war unfreundlich und wenig kooperativ. Sie war der Meinung, dass ich mich mit meinen Angelegenheiten ganz nach ihren Wünschen zu richten hätte. Wer mich kennt weiß, dass ich mit dieser Sorte autoritären Menschen absolut nichts anfangen kann und innerlich dann schon mal gerne auf Konfrontation schalte. Habe ich wohl von meinen Eltern. Mein Vater, ein alter 68er und meine Mutter, die im Grunde genommen auch nicht anders ist, auch wenn sie 1968 erst 14 Jahre alt war. Ist nicht immer leicht und förderlich, so wie seine Eltern zu sein, aber in dem Fall ist es auf jeden Fall besser, als einer dieser angepassten, arschkriechenden Typen zu sein. Wie heißt es so schön: Nur wer gegen den Strom schwimmt, kommt an die Quelle. Scheint im Unterbewusstsein mein Lebensmotto geworden zu sein. Aber ich kann mich einfach nicht anpassen, selbst wenn ich es versuche. Und die Chefin der Arche gehört zu dieser Sorte Menschen, auf die ich reagiere wie ein Stier auf ein rotes Tuch. Oder gelbes Tuch. Ist ja Wurst, Stiere sind ja eh farbenblind.

Irgendwann hatte ich mich mit der Chefin der Arche endlich auf einen Termin „geeinigt“. Zähneknirschend hatte ich eingewilligt, vor dem Sprachkurs nach Paris zu kommen. Aber diese ganze Angelegenheit hatte dazu geführt, dass unser Verhältnis leicht vorbelastet war. Sie war es scheinbar nicht gewohnt, dass man ihr widersprach und ihre Retour-Kutsche erfolgte darin, mir einen gehörigen Strich durch die Rechnung zu machen. Musste ich aber wohl oder übel akzeptieren. Anfang Juni wurde dann endlich das Stipendium bewilligt und ich konnte mit der genaueren Planung meines damit insgesamt 5-wöchigen Frankreichaufenthaltes beginnen. Da es das Einfachste war, beschloss ich, direkt von Paris nach Vichy zu gehen. Ich war echt erleichtert, alle Termine untergebracht zu haben. Am 15. Juni würde ich also nach Paris fahren, dort eine Woche bleiben und am 22. Juni mit dem Zug nach Vichy fahren. Die Story, wie ich eben diesen Zug verpasste, kennt ihr ja bereits. Und vom heutigen Standpunkt betrachtet war es nur der passende Abschluss einer verkorksten Woche. Einer Woche, in der ich mich nicht wirklich wohl in meinem zukünftigen Projekt fühlte. Die Stimmung war seltsam gedrückt und angespannt und ich hatte oft das Gefühl, dass es in der Einrichtung generell nicht rund zu laufen schien. Und das persönliche Gespräch mit der Chefin verlief im Grunde genommen genau so ab, wie der E-Mail-Verkehr mit den Debatten um ein passendes Datum. Frostig, unpersönlich und unangenehm. Ich konnte nicht viel sagen, fühlte mich in der Sprache nicht wohl, verstand nicht viel und zudem wurde die Chefin von Sekunde zu Sekunde unfreundlicher. Tja, wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns das sicher ersparen können.

Ich hatte die Woche aber schnell abgehakt. In Vichy war das Wetter viel zu gut, um Trübsal zu blasen. Die ersten zwei Wochen hatten wir knackige 35 Grad und es war mehr ein Sprachurlaub, als ein Sprachkurs. Die Stimmung wurde nur schlagartig schlechter, als Nicola mich per Mail anschrieb. Sie habe probiert, mich per Telefon zu erreichen, aber vergebens. Ich antwortete verdutzt, ob es den dringend sei, da ich ja in Vichy zum Sprachkurs weilte und daher auch nicht per Telefon erreichbar sei. Die Antwort haute mich dann mehr oder weniger vom Hocker. Es sei schon dringend, da Anne Delaval, so der Name der Arche-Chefin, ein negatives Urteil über mich abgeben hatte und ich daher nicht in der Arche arbeiten könne. Auch Nicola war ziemlich verdutzt und auch merklich wütend, als ich ihr daraufhin völlig von der Rolle sagte, dass ich davon bisher nichts gehört hatte. Madame Delaval hatte es nicht für nötig gehalten, mir persönlich mitzuteilen, dass sie augenscheinlich ein Problem mit mir hatte. Nicola machte das sauer und auch ich war absolut empört über dieses Verhalten. Ich erfuhr also quasi per Zufall, dass mir vor meinem Antritt gekündigt wurde, wenn man es so will. ASF reagierte aber schnell und den Rest kennt ihr ja. Einen Tag später wurde mir die Colline in Nizza zugeteilt und damit bin ich bis heute sehr zufrieden. Und wieder einmal zeigt sich damit, dass es wohl für irgendwas gut war, nicht in Paris gelandet zu sein. Schicksal eben.

Die restlichen Wochen in Vichy waren einfach nur genial. Ich habe nie wirklich davon erzählt, im Grunde genommen weiß keiner, was ich dort alles erlebt habe. Aber es waren die geilsten Wochen meines Lebens.Ich habe mit den coolsten Leuten aus allen Ecken der Welt in der Schule mit unseren Lehrern rumgealbert, danach zusammen beim Sport geschwitzt und abends dann mit der gesamten Schule, inklusive Lehrern, in irgendeiner Bar den Abend ausklingen lassen. Vier Wochen lang. Absolut einmalig.

Hier habe ich die tollsten Menschen von wirklich allen Kontinenten kennengelernt, die man sich vorstellen kann. Wie habe ich es in meinem Bericht formuliert, den ich dem DFJW danach senden musste? Moment, ich suche es schnell raus. Ah, da ist es ja:

Wir spiegelten alle unsere Länder wieder und zusammen ergaben wir die Welt. Vielleicht auch nur unsere kleine tolle Cavilam-Welt, aber es machte unheimlichen Spaß, Teil dieser Welt zu sein, in der Vorurteile, Fremdenhass und Rassismus absolut keine Chancen haben. Denn hier profitiert jeder von jedem, egal woher er kommt. Und jeder ist Teil eines großen Multi-Kulti-Puzzles, das nicht komplett wäre, würde auch nur einer von uns fehlen.

Am 18. Juli hieß es dann Abschied nehmen von Vichy und meinen neuen Freunden. Einen Tag später um 9:15 Uhr saß ich in Lyon im Flieger nach Berlin-Schönefeld. Mit gemischten Gefühlen. Ich freute mich unglaublich, endlich wieder meine Freunde in Berlin zu sehen. Andererseits war ich sehr traurig, nicht noch mehr Zeit mit meinen neuen Freunde aus Vichy verbringen zu können. Und ich war totmüde. Ich hatte die Nacht nämlich am Flughafen verbringen müssen, da der erste Zug des Tages aus Vichy erst um 8:59 Uhr in Lyon ankommt. Wenn der Flieger aber schon 16 Minuten später fertig geboarded auf dem Vorfeld steht und auf seine Starterlaubnis wartet, bleibt einem ja nichts anderes übrig, als den letzten Zug des Vortages zu nehmen und sich die Nacht am Flughafen um die Ohren zu schlagen. Ich hab kein Auge zugetan... Schonmal probiert, aufrecht auf Drahtstühlen zu pennen, während Nachts um drei ein Flieger aus Moskau ankommt, voll mit lauter besoffenen Russen? Nein? Kann ich auch nicht unbedingt empfehlen. Viel zu spät bin ich auf die glorreiche Idee gekommen, mal im Nachbar-Terminal nach einer angenehmeren Ruhestätte zu suchen.

Erst, als ich irgendwann um kurz vor 5 meinen Koffer bei der Gepäckabgabe abgegeben hatte, wanderte ich etwas durch die Gegend und fand letztendlich eine kleine Ecke mit Liegestühlen, mit Blick genau aufs Vorfeld und die aufgehende Sonne. Erst dort döste ich ein bisschen. Aber geschlafen habe ich keine Sekunde.

Viel mehr beobachte ich, wie sich die ersten Sonnenstrahlen in der Lufthansa Boeing 737 spiegelten, die morgens um 6 für den ersten Flug nach Frankfurt bereit gemacht wurde.

Um kurz vor 7 landete dann die Delta Airlines Boeing 757-200 aus New York JFK und parkte genau vor meiner Scheibe. Diese Verbindung zwischen New York und Lyon gab es zu dem Zeitpunkt erst zwei Wochen lang und überall im Flughafen las man Werbeplakate des 5 mal in der Woche stattfindenden Fluges.

So beobachte ich also das Treiben auf dem Vorfeld, bis ich mich irgendwann um 8 zum Einchecken begab, mir dort in der viel zu kleinen Abfertigungshalle des Billigflug-Terminals von Easyjet die Beine in den Bauch stand und feststellen musste, dass für vier zeitnahe Abflüge von Easyjet, nämlich die nach Barcelona, Lissabon, Mailand und Berlin, nur eine einzige Sicherheitsschleuse geöffnet war, vor der sich logischer Weise die Massen drängten. Irgendwann bemerkten die Mitarbeiter, dass es für den Flug nach Berlin langsam knapp in der Zeit wurde und so brüllte eine Angestellte der Sicherheitsaufsicht in die Menge, dass die Passagiere nach Berlin bitte den Arm heben sollten und von den anderen vorgelassen werden sollten. Tja, Berlin war mit 150 Passagieren komplett ausgebucht, das Gedrängel wurde so auf jeden Fall nicht beseitigt. Aber im Warteraum merkte ich erst, dass unser Airbus A 319 noch gar nicht gelandet war. Der ist nämlich in Berlin stationiert und war anscheinend noch auf dem Flug. Warum also hatte man uns als erste durch die Schleusen gelassen? Chaos auf französisch eben. Ich stand mittlerweile aber relativ pragmatisch und resignierend da, absolut kaputt und müde. Den Flug hab ich dafür verpennt. Und in Schönefeld wurde ich von Benny und Ari erwartet. Ich war in dem Moment so glücklich, wieder Berliner Boden unter den Füßen zu haben und wieder in vertraute Gesichter Blicken zu können.

Tja, jetzt kennt ihr die Geschichte von meiner ersten Reise nach Paris, habt etwas über meine vier Wochen in Vichy erfahren und wisst nun, wie ich letztendlich in Nizza an der wundervollen Côte d’Azur gelandet bin. Es passt zwar eigentlich nicht ins Thema der vierten Woche, aber irgendwie gehört das ja alles zusammen.

Nur eine Woche nach meiner Rückkehr aus Frankreich, wo ich insgesamt fünf Wochen war, erfüllte ich mir wie gesagt einen meiner vielen Reiseträume. Mit Clickair flog ich mit Benny, Ari und vier weiteren Freunden am 26. Juli von Berlin-Tegel nach Barcelona. Von dort ging es per gemietetem Shuttle ins Hotel im kleinen Ort Calella, nur wenige Kilometer entfernt von Llorett de Mar, das ja vielen ein Begriff sein dürfte. Eine Woche Sonne tanken und feiern bis die Sonne wieder aufgeht. So muss es sein. Es war richtig geil. Jetzt aber wieder zurück nach Nizza, sonst schreib ich hier noch jede Kleinigkeit dieses Jahres rein und der Text hat doch jetzt schon über 4.000 Wörter...

Lars, mein Vorgänger, hatte mir am Anfang der Woche auf meine Mail geantwortet und mir etwas genauer den Standort des Rades beschrieben. Und der war gar nicht weit weg von McDonalds. Gleich hinter dem Brunnen auf dem Place Masséna, in einer kleinen Straße. Ich verbrachte also einige Zeit damit, den Ort zu finden und nach einem Rad Ausschau zu halten, das so aussieht, wie von Lars beschrieben und zudem keinen Sattel hat. Den hatte ich ja schon. Auch am Wochenende suchte ich immer mal wieder und irgendwann hatte ich den genauen Ort gefunden, vor einem kleinen Antiquitätenladen. Und meine Befürchtungen stimmten, denn mehr als ein Schloss fand ich nicht. Es war also tatsächlich gestohlen worden. Ist auch ziemlich dämlich, hier ein Rad für fast einen Monat anzuschließen, wenn man weiß, dass hier sehr viele Räder gestohlen werden. Aber auf der Suche nach dem Rad entdeckte ich Straßen, die ich bis dahin nicht kannte. Insbesondere die Parallelstraßen der Promenade des Anglais, die zwischen ihr und dem Place Masséna liegen, kenne ich nun etwas besser.

Dort kann man wohl das beste Essen der Stadt bekommen. Es reiht sich ein schickes Restaurant an das nächste und aus jedem strömt ein leckerer Duft. Die meisten Restaurants hier sind italienisch, aber indisch und chinesisch kann man natürlich auch essen. Ganz billig ist es aber nicht. Ich habe mir angewöhnt, im Vorbeigehen immer mal einen Blick auf die Speisekarte und die Preise zu werfen und eine Pizza Magerita unter 9,50 € habe ich bisher nicht gesehen. Das trifft wohl aber nicht nur auf diese Ecke Nizzas zu. Vielmehr ist es das allgemein sehr hohe Preisniveau der Côte d’Azur. Aber dafür bekommt man hier sicher auch erstklassige Qualität serviert, mit einem Hang zur italienischen und mediterranen Küche. Die Zutaten dazu bekommt man hier gleich vor Ort auf dem Markt, der jeden Tag ist. Wenn man etwas zu viel Geld übrig hat, kann man Fische, Hummer, Langusten und so ziemlich alle anderen Leckereien hier fangfrisch kaufen. Aber auch Obst, Gemüse und Blumen bekommt man. Ein vielfältiger Markt eben. Irgendwann will ich hier auch mal essen gehen und vielleicht sogar etwas auf dem Markt kaufen. Macht eh viel mehr Spaß, als im Supermarkt. Das Verhältnis von Kunde und Verkäufer ist auf dem Markt ein anderes. Und die Qualität ist viel höher, die Sachen viel frischer und gesünder, da sie sicher nicht so viel mit Chemikalien behandelt wurden, wie Dinge im Supermarkt.

Die Arbeitswoche bestand eigentlich nur darin, nach dem neuen Dienstplan zu arbeiten, dank dem ich ja nun einen geregelten und planbaren Arbeitstag habe. Vor allem die Arbeit im centre bedurfte einiges an Eingewöhnung, aber inzwischen haben Cathy und ich das besser im Griff. Wie die Nachmittage auf Arbeit aussehen, davon schreibe ich euch nächste Woche.

Und dann habe ich noch das gemacht, worauf ich mich am meisten gefreut habe, seit ich hier bin. Ich habe die Tickets für meine nächste Reise gekauft. Jetzt, wo die Daten des ersten Seminars im Dezember bekannt sind, hab ich das gleich in Angriff genommen. Interessanter Weise ist der TGV von Nizza nach Paris genau so teuer wie Easyjet, also musste ich nicht lange überlegen. 17. Dezember geht’s ab nach Paris. Aber das beste kommt erst noch. Im Anschluss fliege ich ebenfalls mit Easyjet nach Berlin, um dort Weihnachten und Neujahr zu verbringen. Ich freu mich riesig. So toll es hier auch ist, die Heimat fehlt mir. Ab jetzt kann ich also die Tage zählen, bis es nach Paris und anschließend direkt nach Berlin geht. Der 22. Dezember ist der Tag der Tage und ich bin gespannt, wie es sich anfühlen wird, wenn ich in Schönefeld nach über drei Monaten wieder in Berlin lande.

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