Manchmal muss ich zwei mal aufs Datum schauen, damit ich glaube, dass ich schon einen Monat in Nizza bin. Die Zeit scheint zu fliegen. Mir kommt es auf jeden Fall so vor, als sei ich erst gestern angekommen. Aber ist ja auch kein Wunder, denn ich komme eher selten dazu, mir über Zeitliches Gedanken zu machen. Kein Tag ist wie der andere und ständig gibt es was Neues zu entdecken oder zu lernen. Gut, nach 5 Wochen ist das natürlich nicht mehr ganz so krass, wie ganz am Anfang. Aber trotzdem lässt es mich die Zeit vergessen, die ich nun schon von zu Hause weg bin. Ist doch eigentlich auch gut so, denn das Letzte, was ich gebrauchen könnte, wäre Heimweh. Aber dazu ist es hier viel zu aufregend. Auch, wenn der Dienstplan jetzt etwas Schwung aus der Sache genommen hat. Dafür bringt er Kontinuität und Übung mit sich. Die drei mal wöchentlich stattfindenden Animationen am morgen, die Cathy und ich im centre durchführen, sind echt hart. Wir werden zwar Stück für Stück besser, aber es kommt nicht selten vor, dass wir uns im Aufzug gegenseitig motivieren müssen, kurz bevor wir aussteigen. Nach dem Motto Augen zu und durch. Und wenn wir unser Arbeitsmaterial wieder zusammenpacken und uns auf den Weg zur gemeinsamen Mittagspause machen, sind wir jedes Mal froh, dass der schwierigste Part des Tages hiermit vorbei ist. Wir essen immer gemeinsam zu Mittag, wenn wir von einer Animation im centre kommen. Ich finds toll, denn mit Cathy kann man viel lachen und anschweigen tun wir uns eigentlich nie. Sylvie hat uns letztens so beschrieben, dass wir inzwischen wie Geschwister rumhängen, unzertrennlich. Ja, gegen eine 6 Jahre ältere Schwester wie Cathy hätte ich sicher nichts einzuwenden, aber meine Eltern haben es mal wieder verbockt. Auf jeden Fall bin ich froh, mich mit ihr so gut zu verstehen. Das erleichtert mir die Arbeit ungemein, da so die Atmosphäre immer angenehm ist.
Die Nachmittage sind immer etwas verschieden. Montags nach dem atelier informatique und der Mittagspause arbeite ich mit Sylvie zusammen und helfe ihr bei den verschiedensten Dingen. Dann kommen um 14:30 Uhr zwei Freiwillige, die sich Les Blouses Roses nennen. Sie sind komplett in rosa gekleidet, daher der Name. Die zwei Damen, die beide so Mitte 50 sein dürften, arbeiten umsonst und singen mit den Bewohnern. Meine Aufgabe besteht jetzt also jeden Montag darin, die vorgesehenen Bewohner zu fragen, ob sie teilnehmen wollen und wenn ja, sie in den Essenssaal des batiment la colline zu begleiten. Den habe ich vorher dementsprechend vorbereitet. Mehr als Stühle und Tische rücken bedarf es allerdings nicht. Aber meine erste Begegnung mit den Blouses Roses war mehr oder weniger zum schreien. Ich setzte mich zu den Bewohnern, um auf die beiden Damen zu warten. Besonders pünktlich sind sie bis heute nicht gerade. Jetzt müsst ihr wissen, dass die beiden relativ zeitgleich mit mir ihre Arbeit hier aufnahmen und sich daher zuerst vorstellten und etwas einarbeiteten. Die eine hat sich dabei aber so künstlich freundlich präsentiert, dass ich mich irgendwann ernsthaft fragte, was für Drogen sie wohl genommen habe. Ihre Lieblingswörter waren dabei „trèèèès bieeeeen“ (kurz: très bien, übersetzt bedeutet es sehr gut und sie hat es auch wirklich genau so lange betont, wie dargestellt) und „paaaarfait“ (parfait bedeutet perfekt). Und immer grinsend, bis die Mundwinkel beinahe über den Ohren hängen. Ich saß da also auf meinem Stuhl ganz Still und nur meine Augen verfolgten weit aufgerissen und ungläubig diese Frohnatur. Okay, dachte ich, irgendwas stimmt nicht mit dir Lady, aber hör auf so zu grinsen. Die Leute hier sind vielleicht alt, aber nicht doof. Sie werden nicht früher sterben, wenn du dich mal normal benimmst, keine Sorge. Das ganze war echt ein wahnwitziges Schauspiel und als ich später Sylvie darauf ansprach, fing sie laut an zu lachen und sagte nur, dass sie das selbe gedacht hatte. Wir haben uns bestimmt ne halbe Stunde darüber totgelacht. Und jeden Montag früh, wenn es darum geht, wie die Woche aussieht, sagt sie dann grinsend: „Ach, du musst ja nachher wieder zu den Schreckschrauben in rosa.“ Ja, vielen Dank“, hab ich beim ersten Mal nur augenrollend und lachend geantwortet.
Dienstags nach der Mittagspause arbeite ich ebenfalls mit Sylvie zusammen und helfe ihr, das Lotto vorzubereiten und auch durchzuführen. Wie Madame Roche mir sagte, sei geplant, dass ich das Lotto irgendwann auch mal alleine durchführen kann. Bis ich dazu in der Lage bin, helfe ich beim Aufbau und spiele mit den Bewohnern, die es nicht alleine schaffen, weil Augen oder Ohren sie im Stich lassen. Um 15:30 Uhr müssen wir mit unseren drei Partien fertig sein, denn dann gibt es den Nachmittags-Snack. Da Kontinuität sehr wichtig für die Bewohner ist, müssen sich auch die Aktivitäten an den Zeitplan der Mahlzeiten halten. Das setzt uns aber ab und zu unter ziemlichen Zeitdruck. Wenn sich aus irgendeinem Grund der Beginn einer Animation verzögert, gilt es, diese Verzögerung wett zu machen oder durch Improvisation auszugleichen. Aber auch darin bekommt man irgendwann Übung. Nachdem wir wieder alle Sachen eingepackt haben, die man zum Lotto spielen benötigt, geht es meistens in den salle d’animation, um dort verschiedene Dinge vorzubereiten. Für mich bedeutet das oft basteln. Da Sylvie für die Dekoration der Colline zu den verschiedenen jüdischen Festen zuständig ist, bin ich als ihr sozusagen persönlicher Assistent voll in ihre Angelegenheiten involviert. Ich bin momentan oft damit beschäftigt, die von den Bewohnern angefertigten Zeichnungen auszuschneiden. Diese folgen immer einem bestimmten Thema, das sich meistens um die jüdischen Feste dreht. Demnächst ist es die semaine bleu, die blaue Woche. Ihre Bedeutung habe ich vergessen, aber Sylvie hat dazu mit einigen Bewohnern Herzen auf Din-A-4-Blättern blau ausgemalt und ich schneide diese dann aus, damit wir sie später in der Colline zur Dekoration an Fensterfronten und Wänden anbringen können. Dabei legt Sylvie großen Wert darauf, dass die Dekoration immer aktuell bleibt und so wechselt sie diese ständig. Je nach dem, welches Fest der jüdische Kalender als nächstes vorsieht. Es gibt also immer etwas zu tun.
Mittwochs arbeite ich schon am morgen mit Sylvie zusammen, gleich nach dem ich die Kalenderdaten gewechselt habe. Das dauert meistens etwa eine halbe Stunde und so habe ich danach ebenfalls etwa eine halbe Stunde Zeit, um die ausgewählten Bewohner in den salle d’animation zu begleiten, damit Sylvie dort um 10:30 Uhr mit der revue de presse beginnen kann. Davon hatte ich ja bereits berichtet. Auch hier sind Verzögerungen immer etwa stressig, da bereits um 11:15 Uhr mit der gemeinsamen Gymnastik, eine Etage höher in der großen Eingangshalle, der nächste Punkt auf dem Programm steht. Auch hier begleite ich die Bewohner aus dem salle d’animation. Die Gymnastik ist überaus wichtig, damit die Bewohner körperlich nicht eingehen. Außer der Gymnastik haben sie sonst nämlich kaum Bewegung. Und viele von denen, die noch nicht im Rollstuhl sitzen, sind sich durchaus bewusst, dass es gerade die Gymnastik ist, die dazu beiträgt, dies zu verhindern.
Wenn es sich nicht anders ergibt, esse ich Mittwochs mit Sylvie zu Mittag. Dabei sind mir zwei Marotten von ihr aufgefallen. Eigentlich drei. Sie isst nie viel. Sie ist auch recht dürr. Und sie isst immer Käse. Sie steht auf Käse. Sie hat jeden Tag ein großes Stück dabei. Dazu gibt es meistens zwei Scheiben Brot. Gut, mir würde das erstens niemals reichen und zweitens wahrscheinlich irgendwann zum Hals raushängen, aber ihr scheint es so am liebsten zu sein und ich grinse jedes Mal, wenn sie wieder ihren Käse rausholt. Ihr drittes Laster ist die Zigarette danach. Ich nenne es so, denn sobald sie aufgegessen hat, holt sie ihre Zigaretten raus und sagt immer den gleichen Spruch: „ Je vais fumer ma cigarette.“ (Heißt so viel wie: Ich werde dann mal meine Zigarette rauchen.) Sie begibt sich anschliessend mit Kippe und Sonnenbrille bewaffnet (sie hat extrem lichtempfindliche Augen) auf die Veranda und sitzt dann auf einem Stuhl genüsslich in der Sonne. Wir reden dann meistens durch die Verandatür weiter. Wir reden generell viel. Kann man mit ihr auch extrem gut, da sie immer Rat weiß, wenn ich mal ne Frage habe. Sie gehört zu der Sorte Mensch, dem man Sachen anvertrauen kann und weiß, dass sie es sicher nicht dem Chef petzten wird, wenn ich vor ihr über ihn schimpfe. Viel mehr grinst sie dann und stimmt zu. Sie mag Monsieur Perez genauso wenig wie ich. Und sie verbessert mich oft, wenn ich sprachlich danebengreife. Ist auch gut so, denn so lerne ich am schnellsten.
Von der Veranda des salle d’animation, wo sie immer ihre Kippe pafft, hat man einen schönen Blick auf das Mini-Tal und rechter Hand auch auf die Berge. Nach einer, und auch wirklich nur einer, Zigarette kommt sie dann zufrieden wieder rein. Sie ist wirklich eine urige Person. Urig, aber absolut klasse und angenehm. Immer unter Spannung und scheinbar nur durch Käse mal innehaltend, sagt sie selber über sich, dass es genau das sei, was die alten Bewohner brauchen, nämlich eine dynamische Person. Und das trifft es eigentlich auf den Punkt. Sie scheint für ihren Job wirklich wie geboren zu sein. Sie schafft es immer, alles und jeden zu motivieren und ihr fällt auch immer was Neues ein. Sie ist sehr kreativ. Ja, irgendwie ist sie eine Art Vorbild für mich geworden. Ich lerne viel von ihr und oft ist es selbst für mich Jungspund schwierig, ihrem Tempo zu folgen. Aber auch ich lerne und werde schneller.
Nachdem ich mein plateau in die Küche zurück gebracht habe, begebe ich mich in den Alzheimer-Teil. Da Cathy Mittwochs frei hat, soll ich dort den aide-soignante helfen, den Tagesablauf zu bewerkstelligen. Noch mache ich mehr oder weniger das, was die anderen vorschlagen und mehr als helfen tue ich nicht, aber auch hier hat Madame Roche vorgesehen, dass ich im Laufe der Zeit in der Lage sein werde, ganz alleine Aktivitäten durchzuführen, sodass die aide-soignante mir helfen und nicht umgekehrt. Na mal sehen, wann das sein wird und wie schnell ich Fortschritte machen werde. Macht Spaß, sich beim Besser-Werden zu beobachten.
Für Donnerstags und Freitags hat sich Madame Roche ausgedacht, jeweils zwei Bewohner des batiment la colline in den Alzheimer-Teil einzuladen, um dort die Nachmittage zu verbringen. Sie verspricht sich davon wohl ein bisschen Abwechslung für die Bewohner, denn diese sind selten in den anderen Gebäuden, und daher Tag ein, Tag aus, mit den selben Leuten zusammen. Ich fand die Idee deshalb sehr gut. So sprechen Madame Roche und ich uns jede Woche ab, welche zwei Bewohner wir einladen. Meine Meinung fällt inzwischen merklich ins Gewicht, da ich viele Bewohner mittlerweile gut kenne und sie daher etwas einschätzen kann, wozu sie fähig sind und wozu sie Lust haben könnten.
Jetzt wisst ihr also, wie meine Woche auf Arbeit abläuft. Ich fühle mich weiterhin sehr wohl und in meiner Entscheidung bestätigt, ein Jahr ins Ausland zu gehen. Und trist ist die Arbeit hier sicher nicht, dafür sorgen die Bewohner mit skurilen Aktionen von ganz alleine. So wie zum Beispiel Monsieur L. im Alzheimer-Teil. Cathy und ich verteilten die Musikinstrumente, da wir gemeinsam mit allen Bewohnern dort singen wollten. Monsieur L. bekam von ihr die Kastanietten in die Hand gedrückt. Auch, wenn er eigentlich nichts damit anfangen kann, ist es doch wichtig, ihn von solchen Dingen nicht auszuschließen. Seine Reaktion war aber ziemlich unerwartet. Er nahm die Kastanietten, klappte sie auf, hielt sie sich ans Ohr und fragte mehrmals „Hallo, hallo?“. Wir bekamen das quasi alle zeitgleich mit und Julie fragte nur leise und schon halb prustend: „Komisch. Keiner dran?“ Da konnte auch ich nicht mehr und ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so dermaßen lachen musste. Julie hielt sich gerade noch am Türrahmen fest, um nicht vor Lachen auf dem Boden zu landen. Cathy konnte sich ein lautes Grölen irgendwie verkneifen und zischte nur leise, wir sollten aufhören, aber dabei grinste sie natürlich auch. Kann man in so einer Situation auch nicht anders, aber sie probiert immer, so gut wie möglich die Professionalität zu wahren. Julie ist das total wurscht. Sie ist ne ziemliche Frohnatur, immer gut drauf und auch gerne mal einen Spruch reißend, den andere vielleicht leise sagen, wenn keiner zuhört. Man könnte sie zu den Menschen zählen, von denen man sagt, man könne Pferde mit ihnen stehlen. Das stimmt, mit ihr kann man sicher jeden Scheiß anstellen und sich nachher darüber schlapplachen. Cathy ist zwar auch alles andere als ernst, aber vielleicht merkt man hier, dass Julie mit 23 drei Jahre weniger als sie auf dem Buckel hat. Auf jeden Fall mag ich beide sehr. Macht Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Wir lachen immer viel.
Es hat sich inzwischen so eingependelt, dass ich etwa alle zwei Tage mit dem Bus in die Stadt fahre, um Einkäufe zu erledigen und mich mit meinem Laptop zu McDonalds begebe, um wenigstens etwas auf dem neuesten Stand der Dinge in der Heimat und der Welt zu sein. Und natürlich chatte ich mit meinen Freunden. Ich vermisse sie wirklich sehr. Dass sie mir alles bedeuten, war mir klar, aber erst jetzt wird mir die Dimension bewusst, kann ich die Bedeutung meiner Freunde in eine Skala von 1 bis 10 eintragen. In dem Fall also eher 11... Und da ist noch etwas, was mir fehlt. Elliot. Julie, ihr Freund und Elliot wohnen nicht mehr unter mir. War wohl nur übergangsweise. Auf jeden Fall fehlt mir sein Gekläffe, wenn ich spät abends aus der Stadt zurück komme. Zum Abschied hat mir Julie zwei Eis ins Gefrierfach gelegt. Was heißt Abschied, wir arbeiten ja weiterhin zusammen. Nur wohnen wir nicht mehr im selben Haus. Und hätte es keinen Elliot gegeben, der mich jeden Abend in Empfang nahm, wäre mir wohl kaum aufgefallen, dass Julie nicht mehr dort wohnt. Erst, als eine Woche lang kein quirliger Hund auf mich wartete, fragte ich sie und sie sagte, dass sie nun wieder in der Stadt wohne und nur übergangsweise unter mir gewohnt hatte. Schade. Jetzt fehlt der Villa Esperanza, so der Name des Hauses, etwas Leben.
Und dann war ich noch sehr damit beschäftigt, mir Alternativen für das gestohlene Rad von Lars einfallen zu lassen. Ich war weiterhin fest entschlossen, den Bus in Zukunft nur im Notfall zu benutzen und ansonsten mit sportlichem Einsatz ans Ziel zu gelangen. Was immer das heißen soll. Um mir hier ein Rad zu kaufen, fehlt es aber am nötigen Kleingeld. Und als ich eines Tages mal wieder auf dem Boulevard am Meer entlang schlenderte und mir sehr viele Skater entgegen kamen, ging mir ein kleines Licht auf. Warum eigentlich nicht? Schlittschuhe habe ich ja auch, also warum sollte ich mir nicht einfach Rollerskates kaufen und damit wie die anderen schnell von A nach B kommen? Wenn man gut ist, kann man mit den Dingern verdammt schnell werden. Durch meine Wohnlage wurde mir aber schnell klar, dass es nicht einfach sein würde, ohne große Übung lebendig auf Rollen die 15 Prozent Gefälle zu überstehen. Wie bremst man mit so Dingern eigentlich? So überlegte ich etwas hin und her und letztendlich kam ich zum Schluss, dass ich ja zumindest bergab den Bus nehmen könnte und bergauf es dann mit den Skates probieren könnte. Wäre auf jeden Fall weitaus weniger gefährlich und würde auch die Busrechnung halbieren. So machte ich mich bereits Montag nach der Arbeit in die Stadt auf, um dort zu schauen, wie teuer so Skates überhaupt sind. Drei Sportgeschäfte kannte ich zum Glück schon, daher musste ich nicht erst noch suchen. Aber nur in einem gab es Rollerskates und zwar im Go Sport am Place Masséna. Gab auch einige, die mir gefielen. Aber 170 € war ich dann doch nicht bereit auszugeben und so fiel ein Modell in den Fokus, dass mit 79,99 € schon etwas realistischer war. Aber da es ja nicht so einfach sein konnte, gab es das Modell nicht in meiner Größe. Nur in 36 und 45 und neue Bestände würden auf meine Nachfrage hin erst Anfang der folgenden Woche geliefert.
So machte ich mich auf die Suche nach weiteren Sportgeschäften, in der Hoffnung, dort etwas Passendes zu finden. Ich lief ungefähr 4 Stunden durch die Stadt, aber ob ihr es glaubt oder nicht, ich habe kein einziges Geschäft gefunden, das Rollschuhe oder ähnliches verkauft. Woher zum Teufel haben denn dann die ganzen Skater ihre Teile her? In ner anderen Stadt gekauft? Auf jeden Fall war ich schon ziemlich stinkig, in einer großen Stadt wie Nizza nur ein einziges Geschäft mit Rollerskates gefunden zu haben. Na ja, eigentlich zwei. Mir wurde von einem Verkäufer, den ich fragte, ob er noch andere Geschäfte kenne, ein Laden auf der Promenade des Anglais empfohlen. Aber das schien ein Profigeschäft zu sein, denn unter 300 € bekommt man dort nichts. Aber etwas positives konnte ich dann doch meinen erfolglosen Touren abgewinnen. Dadurch habe ich nämlich wieder Ecken kennengelernt, die ich so vielleicht nie oder erst viel später gefunden hätte.
Da es mir am naheliegendsten erschien, dort nach Sportgeschäften zu suchen, wo die meisten Touris waren, lief ich wieder die Avenue Jean Médecin entlang. Diesmal kam ich auch weiter, als nur bis zu McDonalds und dem Einkaufszentrum Nicetoile. Ein Sportgeschäft fand ich aber trotzdem nicht. Dafür aber den großen Bahnhof, der irgendwann linker Hand kommt. Ich bin zwar dort mit dem TGV angekommen, aber da es damals schon dunkel war, habe ich die Gegend absolut nicht in Erinnerung. Die Eisenbahntrasse kreuzt hier in einiger Höhe die Avenue Jean Médecin, genau wie die Autobahn, die parallel zur Bahn und noch eine Etage höher verläuft. Hier bündelt sich ziemlich viel Verkehr. Lässt man die Bahnhofsgegend hinter sich und unterquert Eisen- und Autobahn, scheint man auf einen Schlag in einer anderen Welt zu sein. War die Straße vorher noch überfüllt von Passanten, ist sie dahinter wie ausgestorben. Keine Touristen mehr. Nur Einheimische. Wie eine unsichtbare Grenze erschien es mir, als ich kurz zurück blickte. Ich folgte der Avenue Jean Médecin noch einige hundert Meter, bis ich auf einen kleinen Platz kam, auf dem gerade einige Leute beschäftigt waren, einen Markt abzubauen und den Boden mit Hochdruckschläuchen zu reinigen. Dem Geruch nach zu urteilen, handelte es sich hierbei wohl um einen Fischmarkt. Jetzt kannte ich also schon zwei Märkte. Cool, schaden kann es auf jeden Fall nicht, die Insidergegenden zu kennen. Hier scheint sich wirklich kein Tourist hin zu verirren. Eigentlich schade.
Ich bog links ab und lief einige Ecken weiter geradeaus, auch wenn ich nicht glaubte, hier ein Sportgeschäft zu finden, aber wenn ich schon mal hier war, konnte ich mir auch gleich etwas die Gegend anschauen. Ich fand anstelle von Sportgeschäften eine Apotheke nach der anderen. Wie uns Nicola auf dem Seminar in Paris sagte, sei das eine Macke der Franzosen. Bei jedem kleinen Pups rennen sie zum Arzt und später in die Apotheke. Daher die im Vergleich zu Deutschland extreme Dichte. Nicht selten liegen zwischen zwei Straßenecken zwei oder drei Apotheken nebeneinander. Kannte ich so bisher nur von Dönerläden aus Kreuzberg, aber man lernt ja nie aus. Irgendwann bog ich dann nochmals links ab, um wieder in Richtung Promenade des Anglais zu laufen. Frustriert landete ich dann wieder bei McDonalds. Ich rief meinen Vater an und irgendwann sagte er, er würde mir mein Rad aus Berlin hierher schicken, mit Hermes. Sei auch gar nicht so teuer. Erschien mir nach dem Fehlschlag mit den Rollerskates als das Beste. Je nach dem, wie schnell er es losschicken würde, könnte ich schon nächste Woche auf meinem geliebtem Rad am Meer entlang fahren. Es dauerte aber einige Tage, bis Papa mir per sms bescheid gab, dass das Rad nun unterwegs sei. Da war ich echt erleichtert. Und ich freute mich drauf. Denn ich bin ja ein begeisterter Fahrradfahrer und eine Tour entlang der Côte d’Azur würde da der absolute Höhepunkt meiner kleinen Leidenschaft sein. Aber zuerst einmal hieß es geduldig warten. Wer weiß, wie lange die Post beziehungsweise Hermes braucht, ein ganzes Rad von Berlin nach Nizza zu befördern.
Montag, 8. Dezember 2008
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