Mittwoch, 1. Oktober 2008

Tag 2 bis 10: Das große Vorbereitungsseminar

Das Vorbereitungsseminar ist relativ einfach gegliedert. Frühstück gibt es bis 8:45 Uhr, um 9 gibt es meistens ein Plenum, das organisatorische Dinge anspricht oder auch Geburtstagskinder erwähnt, von denen es bei über 150 Personen fast täglich eines gibt. Nach dem Plenum fangen die PAG’s an, die sogenannten Projektarbeitsgruppen. Diese sind in die unterschiedlichen Themengebiete der Projekte gegliedert, zum Beispiel politische Bildungsarbeit, Arbeit mit Kindern oder Arbeit mit alten oder behinderten Menschen. Alles logischerweise länderübergreifend. Ich bin in zuletzt genannter PAG. Geleitet wird sie von Matteo. Behandelt werden so alltägliche wie banale Fragen wie „Ab wann ist man alt“ und „Was ist alt bzw. jung für dich?“ So intensiv wie in diesen 10 Tagen habe ich mich noch nie mit diesem Thema auseinandergesetzt. An einem Tag ging es auch mal recht biologisch um Krankheiten, die größtenteils bei alten Menschen auftreten wie zum Beispiel Alzheimer. Wir haben gelernt, dass Alzheimer die Senioren fast wieder zu Kindern werden lässt, unselbstständig und abhängig. Besonders interessant für mich, da ich in meinem Projekt fast ausschließlich mit stark dementen und an Alzheimer erkrankten Menschen zu tun haben werde. Hier also ein erster Vorgeschmack.

Sportlich konnte man sich auch ertätigen. Es wurde regelmäßig auf einem Bolzplatz Fussball gespielt, was sich auf diesem Acker als echte Herausforderung entpuppte. Es existiert auch ein sehr gut gepflegtes Beachvolleyball-Feld, auf dem täglich gespielt wurde. Ohne mich aber, Volleyball war noch nie mein Ding, dafür hat der Pytlik gesorgt. Das Gelände bot sich auch gut zum Joggen an, da eine Art Rundweg existiert. Ansonsten wurde die wenige Freizeit gammelnd verbracht, lesend, vorm Laptop hängend oder quatschend mit anderen. W-Lan sucht man dort natürlich vergebens, ist ja Brandenburg.

An zwei Tagen ging es jeweils nach dem Frühstück mit dem Bus nach Wannsee ins Haus der Wannsee-Konferenz. Dort bekamen wir eine Führung, nahmen an Diskussionsrunden teil, schauten uns die Ausstellung an und nahmen an einem sehr interessanten Zeitzeugengespräch mit Inge Deutschkron teil.

Sie schilderte sehr authentisch ihre Erfahrungen aus der Nazi-Zeit. Als Jüdin musste sie in Berlin untertauchen, flüchten und kehrte schließlich 50 Jahre nach Kriegsende nach Berlin zurück. Trotz ihrer über 80 Jahre sprach sie klar und deutlich, auch brachte sie ab und zu einen ironischen oder zynischen Satz unter, womit sie deutlich machen zu probierte, wie unerklärlich ihr die Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 waren und noch immer sind. Und sowieso lernten wir in diesen zwei Tagen sehr viel über jüdische Schicksale und die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“, über die im Haus der Wannsee-Konferenz damals debattiert worden war.

Auch wusste ich nach diesen zwei Tagen in Wannsee und speziell nach dem Gespräch mit Inge Deutschkron nicht mehr so recht, wo ich das deutsche Volk in der damaligen Zeit einordnen sollte. Es als bloßes „Tätervolk“ darzustellen reichte jetzt nicht mehr, dazu ist das Thema viel zu komplex, das habe ich aber erst nach den zwei Tagen in Wannsee kapiert. Dass es nämlich mehr als nur schwarz und weiß gibt. Und gerade Frau Deutschkron hat ihr eigenes Volk gar nicht an den Pranger gestellt, wie man es eigentlich erwartet hätte. Nein, sie hob speziell die hervor, die bereit waren den Juden zu helfen und die in keinster Weise das Naziregime unterstützen in dem was es tat. Dass sie es gewählt hatten und sich damit in einer gewissen Weise schuldig machten ist aber eine andere Geschichte, das probierte auch Frau Deutschkron zu erklären. Mir wurde klar, dass es nicht einfach ist, in dieser Zeit gute und schlechte Menschen zu erkennen und dass es sich eigentlich verbietet, diese Klassifizierung zu verwenden, eben gerade, weil zwischen Tätern, Opfern und Mitläufern ein oft zu schmaler Grad bestand. Sind die, die 1933 die NSDAP wählten, später aber gegen den Krieg waren und Juden halfen nun gute oder schlechte Menschen? So hätte ich mir die Frage vorher gestellt. Jetzt wusste ich, dass man schon viel früher ansetzen muss, dass man es so weit erst gar nicht kommen lassen darf, dass man sich diese Frage stellt.

Und genau da sehe ich ASF. Nicht wieder gutmachen wollen, denn das ist unmöglich. Nicht entschuldigen, denn wir Freiwilligen tragen keine Schuld. Nein, es besser machen, das ist unsere Aufgabe. Mit gutem Beispiel voran gehen. Und das tun wir Freiwilligen. Ich bin stolz, Deutscher zu sein, leider haben viele immer noch ein Problem damit, das zu sagen. Und es macht mich noch mehr stolz, zu unseren Freunden nach Frankreich zu gehen. Denn wir leben in einem vereinigten Europa, was in vielen Köpfen zwar noch nicht ganz angekommen ist, das aber durch viele Krisen gegangen ist, meist von Deutschland verschuldet im letzten Jahrhundert. Und heute können wir uns in die Augen schauen und sagen, hey, heute wissen wir, dass es besser geht. Und ich als ASF-Freiwilliger und Mensch mit politischem Bewusstsein bin stolz, dass aus Feinden Freunde geworden sind. Das gilt nicht nur für Frankreich, aber ich denke, dass dieses Bewusstsein irgendwie in jedem ASF’ler steckt und das es das ist, was uns von anderen unterscheidet, dass Frieden nicht umsonst ist und man etwas dafür tun muss. Und dass wir Freiwilligen ein kleines bisschen dazu beitragen, dass alte Feinde auch in Zukunft Freunde und gute Nachbarn bleiben. Stolzer Deutscher, stolzer Franzose? Auch, aber vor allem stolzer Europäer!

Es war sehr beeindruckend, dass Inge Deutschkron trotz allem keinen Hass auf ihr Volk propagierte, sondern eben in ihren Büchern die stillen Helden beschrieb, die sonst kaum einer erwähnt. Wie zum Beispiel Otto Weidt, in dessen Blindenwerkstatt am Hackeschen Markt sie damals Anfang der 40er unter falschem Namen unterkam und der es durch seine geschickte Art wusste, die Gestapo zu bestechen. Dadurch rettete er vielen Juden das Leben und nahm dafür sogar mal Arrest auf sich. Und trotzdem machte sie immer wieder deutlich, dass sie in keinster Weise verherrlichen wollte, was sie auch nicht tat, aber ich schätze das ist ihre Art der Vergangenheitsbewältigung und das geht scheinbar auch ohne Hass, was sehr beeindruckend ist. Wenn mir so etwas widerfahren würde wie den Juden damals, dann hätte ich einen unendlichen Hass auf die, die es zuließen, nämlich das Volk, denn zu viele haben weggeschaut.

Am Sonntag den 7. September war großer Kirchentag. Da ASF eine christlich geprägte Organisation ist, die auch auf Kirchengelder angewiesen ist, wurde jeder Freiwilliger einer Berliner Gemeinde zugeteilt, egal ob er nun wie ich konfessionslos ist. Frühstück bis 6:45 Uhr. Als wir das und die aushängenden Abfahrtzeiten lasen, haben die Langschläfer und chronisch Müden wie ich ganz schön die Nase gerümpft. Ist aber verpflichtend, also was solls. Alle Schaltjahre mal ne Kirche von Innen zu sehen schadet sicher nicht. Ich war mit drei anderen Frankreich-Freiwilligen der Französischen Gemeinde im Französischen Dom am Gendarmenmarkt zugeordnet, sicher nicht die schlechteste Gemeinde.

Eine Gruppe musste sogar in den Berliner Dom, der erst wenige Tage zuvor sein renoviertes Domkreuz zurückbekommen hatte und welches nun wieder golden strahlend den höchsten Ort des Domes schmückte. Da nicht alle Freiwilligen in einer Fuhre nach Berlin gebracht werden konnten, wurden mehrere Busse gechartert, alle mit unterschiedlichen Abfahrtszeiten und Routen. Ich war im letzten Bus, konnte also am längsten frühstücken, bis kurz vor 7. Über die neue Autobahn an Europas größter Baustelle vorbei, dem zukünftigen Hauptstadtflughafen BBI, ging es ins Zentrum Berlins. Von Mitte über Friedrichshain bis Pankow und Buch ging die Tour, die Gemeinden waren wirklich sehr zerstreut gewählt geworden, sodass wir über eine Stunde durch Berlin fuhren. Durch die Friedrichstraße, vorbei am Alex, dem Dom und der Ruine des Palastes der Republik bot sich für die Nicht-Berliner nebenbei eine kleine Stadtführung an, die viele aber verschliefen. Da unser Gottesdienst erst recht spät begann, wurde uns angeboten, im Bus zu bleiben, als die andere Gruppe, die im Französischen Dom zu Gast war, aussteigen musste. Wir nahmen dankend an, so konnten wir noch etwas schlafen beziehungsweise wach werden. So waren wir fast die letzten, die ausstiegen. Wir wurden bereits vom Pastor erwartet, der uns eine kleine Einführung in den Gottesdienst gab. Dieser würde auf Deutsch und Französisch gemacht. Das ist nicht sehr verwunderlich, da Berlin eine sehr große hugenottische Gemeinde besitzt, die noch heute größtenteils Französisch spricht. Außerdem sollten wir uns und unser Projekt alle einzelnen vorstellen, vor der Gemeinde.

Der Gottesdienst ansich verlief ohne große Höhepunkte, viele Leute waren nicht gekommen und der Pfarrer und die Pfarrerin mussten sich Mühe geben, wenigstens etwas Leben in das ganze zu bringen, was ihnen soweit aber gut geling. Wir sprachen kurz vor, alles ganz routiniert versteht sich. Zum Schluss wurden wir mit Gottes Segen in unsere Projekte entsannt. Da fühlt man sich doch gleich viel besser als Atteist.

Die Überraschung kam allerdings, als uns gesagt wurde, dass wir zum Gemeindeessen eingeladen seien, das gleich im Anschluss stattfinden würde. Da wir viel Zeit hatten, war das natürlich toll. Uns wurde ein riesiges Menü aufgetischt, das ich nie erwartet hätte. Wir schlugen kräftig zu, unterhielten uns mit verschiedenen Leuten der Gemeinde, versuchten vergebens weitere Förderer zu finden und verabschiedeten uns am Ende zufrieden und satt. Um 15 Uhr war Treffpunkt im Prenzlberg an der Kulturbrauerei, ASF hatte Karten für das Theaterstück Rambazamba organisiert. Da es aber nicht verpflichtend war und eh nicht alle untergekommen wären, hatte ich mich entschlossen, nach Hause zu fahren. Um 18 Uhr musste ich nur wieder an der Kulturbrauerei sein, um wieder mit den anderen nach Hirschluch zurückzufahren. Zu Hause packte ich noch einige Dinge ein, surfte mal wieder ausgiebig im Internet, natürlich mit meinem neuen Laptop und unterhielt mich mit meinem Vater. Der Weg nach Hause war komisch. Durch die Straßen deines Kiezes laufen und zu wissen, dass du da, aber eigentlich schon weg bist, machte mich wieder etwas traurig. Ich hing mich an den einfachsten Dingen auf, sei es nur ein Auto mit Berliner Kennzeichen. Nach einigen schönen Stunden zu Hause musste ich mich wieder auf den Weg machen. Papa kam mit. Wir waren viel zu früh dort und so liefen wir durch die Brauerei, redeten und schauten dem Treiben zu. An dem Tag gab es dort ein großes Kinderfest. Dann hieß es mal wieder Abschied nehmen, war ich ja inzwischen gewöhnt. Macht es aber kein bisschen schöner.

Mit dem Bus ging es dann wieder zurück nach Hirschluch, wo ein warmes Abendessen auf uns wartete, Gulasch nach Art des Hauses oder so. Na guten Appetit. Danach ging es sofort aufs Zimmer. Seit 6 auf den Beinen, ich war hundemüde. Bastian klagte nur über seinen Darm, dem der Gulasch wohl sehr zu schaffen machte. Zum Glück war das Fenster die ganze Nacht sowieso auf, mir stieß das Zeug nämlich auch auf...

Die restlichen Tage liefen wieder nach gewohnten Schema. An einem Tag aber hatte man es selbst in der Hand, wie man ihn gestalten wollte. Zur Auswahl gab es neben Fussball auch eine Tauschbörse für natürlich völlig legal im Internet runtergeladenes Material wie Musik und Filme, der ich mich natürlich anschloss, für ein Jahr Nizza brauch ich schließlich guten Stoff. Und dann gab es da noch den Projektnachmittag, auch mehr oder weniger frei wählbar. Man gab drei Präferenzen der Themenvorschläge an und man wurde zugeteilt. Ich wurde zum Glück dem Film-Projekt zugeteilt. Natürlich haben wir es nicht an einem Nachmittag geschafft, einen Film auf die Beine zu stellen, aber am letzten Abend vor den Länderpräsentationen haben wir ihn rechtzeitig beendet und präsentiert und ich muss sagen, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ein kleines Team aus ungefähr 10 Leuten hat zwischen den verschiedenen anderen Aktivitäten mit eigenem technischen Equipment, eigener Videokamera, eigenen Laptops und eigenen Ideen einen richtig schönen kleinen Film gedreht. Aber seht doch selbst, ich werden versuchen, ihn hier reinzustellen. Er stellte aber auf jeden Fall einen schönen Abschluss des Seminars dar und bot einen kleinen Querschnitt der Geschehnisse der 10 Tage an, so gut es mit unseren Mitteln und der knappen Zeit möglich war. Und während den Dreharbeiten war auch mal Zeit, etwas Quatsch zu machen. Unsere Mädels haben definitiv Stimmung gemacht.

Und beim Bearbeiten des Films haben wir uns wirklich ins Zeug gelegt. Wir haben einen kleinen Raum zu einer Multimedia-Zentrale und einem Cut-Room umgebaut. Man hatte teilweise das Gefühl, in einem Informatik-Saal einer Uni zu sein. Und beim cutten waren alle immer höchstkonzentriert.

Das Highlight des Seminars sollte aber die große Party am letzten Abend sein. Schon sehr früh wurde dafür extra ein Party-Komitee gebildet, das sich um die Organisation zu kümmern hatte. Es wurde Geld gesammelt, damit es an Getränken nicht mangeln sollte. Für die 3 € die jeder zu zahlen hatte, wollte er etwas trinken, erhielt man 2 Liter Bier, damit kommt man einen Abend auf jeden Fall gut rum.

Es war eine Party wie die meisten anderen auch, die man kannte, nur mit dem Unterschied der Gesellschaft. Viele freundeten sich erst hier richtig mit den anderen an, tauschten Adressen aus und schworen sich, sich immer fleißig zu schreiben und Erfahrungen auszutauschen. Zudem wurde in der Kapelle, wo die Party stiegt, eine Art Postsystem an der Wand angebracht. Kleine Täschchen, in die man ausliegende Zettelchen mit einer Nachricht stecken konnte. Neben dem Tanzen und Quatschen war das Zettelschreiben die Hauptbeschäftigung des Abends. Ich habe 7 Zettel bekommen und mindestens so viele geschrieben. Hab mich dann immer wie ein kleines Kind, das vorm Weihnachtskalender steht gefreut, wenn eine Nachricht im „Postfach“ war.

Es war wirklich ein toller Abschluss des Seminars, eine sehr gelungene Feier mit sehr guter Musik, die sich dann doch irgendwie von den anderen Partys unterschied, die man gewöhnt ist. Andererseits war ich dann auch etwas traurig, dass man die Leute, die man erst so richtig kennen gelernt hatte, schon wieder verabschieden musste. Aber so ist das nun mal. Aber wir hatten viel Spaß und das ist schließlich die Hauptsache, oder? Seht selbst, auch wenn das Bild einem Angst machen kann. Aber wir haben viel gelacht.

Bis tief in die Nacht hinein wurde gefeiert, getanzt, Briefchen geschrieben, getrunken und gelacht. Das war es also, das erste große Seminar. Der Beginn eines ganz besonderen Jahres für uns, das uns sicher noch viel bringen wird im weiteren Leben, da bin ich mir sicher.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Also, du hast etwas ganz wichtiges vergessen!!!!
Du hast meinen Tod einfach hingenommen! Ja, hast sogar gegen mich gehetzt!!!! *motz*